UND WIE MACHST DU DAS?

Das echte Leben, alles, samt der Schwächen und Hindernisse, samt der Ecken, Kanten, Falten, Durchhänger, Wunden, Narben, Müdigkeiten, Nervenzusammenbrüche und was es sonst noch alles gibt: es hat mich immer mehr interessiert als die begradigten und behübschten Versionen, die man manchmal erzählt bekommt, von Zeitschriften, von Filmen, von Menschen, die man trifft, manchmal macht man sich ja auch selbst einiges vor - ich inklusive. Obwohl das echte Leben so viel spannender, rührender, komischer, bewundernswerter ist als seine Fassaden.

Seit ich Mutter bin, habe ich oft gedacht: Seltsam, dass ich so wenig über das echte Mutterleben anderer Frauen weiß. Man hört Geschichten, in denen die Kinder nach zwei Wochen durchschlafen und das Jonglieren mit den Mehrfachbesetzungen als Mutter, Lebensgefährtin, Geliebte, Berufstätige und Göttin überhaupt kein Problem ist. Fragt mich jemand, wie mein Leben als Mutter ist, antworte ich meistens auch, dass alles bestens ist. Und das ist es ja auch. Ich bin verknallt in mein Leben. An den meisten Tagen. An den anderen Tagen, den Tagen, von denen ich nicht sofort jedem erzähle, möchte ich vom Muttersein desertieren, einfach abhauen, und tschüss. Ich bin auch nach anderthalb Jahren mit Kind immer wieder aufs Neue überrascht wie chaotisch jeder Tag ist. Ich bin müde, eigentlich andauernd. Ich bin dünnhäutig, oft auch muffig, manchmal mit Recht, manchmal zu unrecht, aber öfter, als ich es gern wäre. Ich brauche drei Monate, um mir einen Friseurtermin zu machen. Und ein paar Wochen, um einen Abend zu zweit ins Kino zu gehen. Ich lese nicht mehr so viele Bücher, wie ich es mal getan habe.  Ich gehe oft erst um zwei ins Bett und bin am nächsten Tag noch müder, als ich es ohnehin bin, trotzdem wird es jeden Abend noch ein bisschen später, weil ich am Tag ein, zwei Stunden brauche, in denen ich tue, worauf ich gerade Lust habe, alleine bin, nicht ansprechbar, nicht zuständig, mit mir. Ich heule. Viel öfter als früher, seit ich Mutter bin, bin ich ein Wasserwerk. Ich fühle mich überfordert, erschlagen von meinen To do-Listen. Ich fühle mich stark. Manchmal auch beides gleichzeitig. Ich habe einen ganzen Badezimmerschrank voller roter Lippenstifte, weil ich mich mit roten Lippen sexy fühle, auch wenn ich mich nicht sexy fühle, sondern schrecklich.

Was ich manchmal vermisse: die Gewissheit, dass ich nicht allein bin mit diesen seltsamen Gefühlen, nicht allein mit meiner Müdigkeit, meiner Rumheulerei, nicht die Einzige bin, die darüber streitet, wer öfter die Spülmaschine ausräumt, nicht die Einzige, die manchmal vorm Leben in Deckung gehen will. Jedes Mal, wenn ich einen Nachmittag mit einer Freundin verbracht habe, der es ganz genauso geht wie mir, fühle ich mich zehn Kilo leichter. Mütter, die ich nicht ganz so gut kenne, frage ich aber viel zu selten danach, wie es ihnen (wirklich) geht. Das soll sich jetzt ändern. Ab jetzt frage ich andere Mütter, wie ihr Leben ist. Mütter, die ich kenne, oder gerne besser kennen würde, Mütter, die mir imponieren, von denen ich etwas lernen könnte, mit denen ich mich verbunden fühle. Joanna Goddard macht auf ihrem ganz großartigen Blog etwas Ähnliches, sie fragt Mütter, wie sie zwischen Arbeit, Kind und Beziehung eine Balance finden. Ihre Interviews haben mich vor einem Jahr sehr gerührt, mich beruhigt, dass alles schon werden wird, sie sind mir im Gedächtnis geblieben und haben diese Serie inspiriert. Ab heute also hier eine Serie, die fragt: "Und wie machst du das?". Für die erste Folge hat mir Hebamme Jule Pumpe über ihr Leben erzählt und mich mit ihren Antworten sehr gerührt. Gleich geht´s los.

26 Kommentare:

  1. Liebe Okka,

    Darauf freue ich mich schon. Ich glaube, Mutter zu sein ist für jede Frau so unterschiedlich wie auch die Frauen unterschiedlich sind. Aber eines weiß ich als Mama von drei wunderbaren Mädchen ganz ganz sicher: es ist das größte Abenteuer meines Lebens. Es ist ein Wunder. Und es ist mir eine Ehre, mit ihnen zu reisen.

    Liebe Grüße,

    Isabelle (deren älteste Tochter wirklich mit drei Wochen durchschlief. Als Stillkind. Anfängerglück. )

    AntwortenLöschen
  2. ui, Okka, danke! Du bist keinesfalls allein. Das Wichtigste ist sich freizuschaufeln, immer wieder, alleine sein, ohne Kind, dann klappt es auch mit der Balance prima, finde ich. Ich freue mich riesig auf Deine neue Serie!

    Lese jetzt noch die erste Folge und dann ab ins Bett.
    Gute Nacht!

    AntwortenLöschen
  3. danke, liebe okka! dank dir für deine zeilen...du bist auf keinen fall allein...bin dabei meine "freien" stunden zu genießen und ich denke auch heute treibt es mich nicht vor 2 uhr nachts ins bett ;)und der friseur wartet sicher auch noch ein paar wochen auf mich..
    noch was...ich finde fannys neues zimmer wirklich sehr sehr gelungen, aber vielleicht magst du auch mal "unaufgeräumte" bilder zeigen, denn sonst stellt sich die frage: wie machst du das nur?
    gute nacht u lieben gruß von einer österreicherin in berlin!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. gute nacht und lieben gruß zurück!

      Löschen
    2. ach, und nein, so sieht es nicht immer bei uns aus, hab´s auch schon der lieben mailis geschrieben: die fotos waren direkt nach dem umbau, an ganz normalen tagen sieht´s bei uns auch unaufgeräumt aus, aber sowas von. jetzt aber echt: gute nacht!

      Löschen
  4. Was für eine schöne Idee! Ich glaube, es ist wirklich sehr wichtig, ein intimeres, realistischers Bild vom Muttersein zu bekommen. Nicht nur für Mütter, sondern auch für die, die übers Muttersein nachdenken. Den Müttern in meinem Umfeld geht es auch immer "gut", irgendwie scheint alles prima zu laufen, aber auf die Frage "Wie machst du das?" bekommt man meist keine richtige Antwort. Vielleicht auch, weil ich selbst keine Mutter bin und mir der Einblick fehlt (den ich aber gern zumindest schon aus zweiter Hand hätte)? Ich finde, ein ehrlicher Eindruck vom Muttersein, vom Schlafmangel, von den Ängsten, von dem, was zwickt und schön ist, ist doch so viel mehr wert, als auf Hochglanz polierte, übersteigerte Erwartungen, vor denen man nur Angst hat, weil sie so unerfüllbar sind. Zumindest für mich als Nachdenkende.
    Ich freu mich jedenfalls auf die Reihe und bin sehr gespannt!
    Schlaf gut!

    AntwortenLöschen
  5. Ganz großartig, liebe Okka! Ich freue mich auf ehrliche Worte und Geschichten. Ja. Ich finde es manchmal einfach furchtbar anstrengend - das Muttersein. Ich liebe es und würde niemals tauschen wollen. Aber ja. Es ist sososo anstrengend. Und wenn das kleine Mädchen sich abends seit Wochen nur von Mama ins Bett bringen lässt und nach anderthalb Stunden immer noch im Bett rumhüpft, auf mir, über mich... dann bringt mich das manchmal an den Rand der Verzweiflung.
    Wenn ich dann mit meiner Freundin x telefoniere, deren Tochter nur knapp jünger ist und bei der immer aaaaalles easy und super ist (sie schläft durch, lässt sich von jedermann und jederfrau ins Bett bringen, Babysitter ist kein Problem, auch mal übernacht bei Oma und Opa, sie beschäftigt sich eine Stunde allein mit einem Bilderbuch usw.), dann bin ich einfach nur neidisch auf all die Einfachheit.

    Und hallo? Es ist nach Mitternacht. Und ich weiß spätestens um sieben turnt ein kleines Mädchen auf mir herum und sagt "aaaatteeeh" (=aufstehen) und die nacht ist vorbei. Aber ich brauch sie eben auch. Die Zeit für mich (blöd, dass ich sie so oft im Netz vertrödle, aber das ist ein anderes Thema).

    Liebe Grüße und husch husch ins Bettchen!

    AntwortenLöschen
  6. aaah, okka!! ich habe die neue serie von joanna goddard verschlungen und freue mich jetzt auf deine!!!!!!!

    mir geht es wie dir. ganz genauso, immer noch. nach fast vier jahren. dünnhäutig, ständig genervt davon, alles 100x sagen zu müssen (immer dieser sisyphus), müde. und das späte ins bett gehen, weil man noch zeit für sich braucht - GENAU DAS!!! genau das ist bei mir auch so.

    danke für deinen blog. und für die ungeputzte wirklichkeit.
    herzgruß

    AntwortenLöschen
  7. Das ist ja eine super Idee. Ich freu mich so, obwohl ich bisher bloss Katzenmutti bin, was sich allerdings nächstes oder übernächstes Jahr hoffentlich ändert wird...

    AntwortenLöschen
  8. Liebe Okka, das ist so eine gute Idee! Ich liebe Joannas Serie auch sehr und finde es toll, dass Du so etwas Ähnliches machen willst. Danke. Agnes

    AntwortenLöschen
  9. Merci! EIne seelenerwärmende, müttererheiternde Idee. Danke. Ich komme morgens nämlich oft so in den Kindergarten: Ich: Klamotten, die gerade griffbereit waren, nicht gebügelt werden müssen und sauber sind, Haare hoffentlich noch gewaschen, Augenringe, das Töchterchen (mal entzückend, mal bockig) im Schlepptau, oft mit zerwülten Haaren/Zahnpastaflecken im Gesicht/ gerne zwei verschiedenen Socken, (Das ist schöner so, Mama!). Und treffe (gefühlt) immer auf Mütter, die wie aus dem Ei gepellt aussehen. Ich sehe eher wie die Pelle vom Ei aus an solchen Tagen. Und die Kinder, die morgens noch wie aus dem Noa Noa oder Cos Katalog aussehen, zumindest morgens noch (Kindergartenlage: München Innenstadt). Da finde ich etwas Realität, auch wenn sie virtuell hierher kommt ideal. Achja: Heute morgen habe ich Kinderfrei, da muss der Papa ran. Dem klebt auch schon die Zahnpasta auf dem Pullover.

    AntwortenLöschen
  10. Oh was für eine schöne Idee Okka! Ich freue mich auf das echte Leben von Euch da draußen ♡

    AntwortenLöschen
  11. Oh das ist toll – vielen Dank Okka!

    AntwortenLöschen
  12. Sehr sehr gute Idee! Ich sehe sie jetzt schon als Buch! Und freue mich auf jede neue Folge aus dem echten Mutterleben! Liebe Grüße, Wiebke

    AntwortenLöschen
  13. Ich staune.... und bin schwer beeindruckt. Sowohl von der Idee, als auch von der Umsetzung, welche zum Zeitpunkt diesen Kommentars schon stattgefunden hat.
    Ein ganz, GANZ großes Kompliment an Euch beide!!

    AntwortenLöschen
  14. Dieses Thema, fernab von Mode- und Einrichtungsfragen (was ich mir auch gerne mal anschaue), ist eine wahre Bereicherung für deinen Blog, Okka. Echt.. es ist genau mein Thema im chaotischen und wunderbaren Mutterleben. Super!

    AntwortenLöschen
  15. Was für eine wundervolle Idee... und wie realistisch :-). Diese ganzen "Mein-Kind-schläft-durch", "nein, auch wenn es Zähne bekommt, merken wir gar nichts", " es schreit auch nie"- Kommentare machen einen manchmal ganz wahnsinnig und man fragt sich, was man selbst falsch macht.
    Aber es ist schön zu hören, dass die meisten auch die "Balance" suchen und sie manchmal auch nicht finden..
    N´ganz schönes Wochenende für Euch :-)

    AntwortenLöschen
  16. Eine so schöne, kluge und wohltuende Idee! Eine echte Bereicherung, wie Claudia sagt. Danke!

    AntwortenLöschen
  17. Das ist eine wirklich ganz wundervolle Idee und das erste Interview ist ganz toll. Ich bin echt sehr begeistert, denn Du hast völlig Recht: es gibt kaum wirklich ehrliche und realistische Darstellungen VON Müttern, wie es wirklich ist mit dem Muttersein. Und als arbeitende Vierfachmama ist es für mich ganz besonders interessant zu lesen wie es bei anderen Mama so läuft... ich freue mich deshalb auf ganz viel Vielfalt und interessante Einblicke hier bei Dir.

    Ein schönes Wochenende und viele liebe Grüsse von
    Frau Süd

    AntwortenLöschen
  18. Liebe Okka,

    dein Text hat mir so aus dem Herzen gesprochen. Ich habe den Text gestern Abend ausgedruckt und meinen Mann gebeten, ihn zu lesen, damit er mich besser versteht und sieht, dass ich/wir keine Ausnahme bilden. Danke für deine Worte, die mich sehr berührt und aufgebaut haben.

    Ein schönes Wochenende und liebe Grüße
    Dorea

    AntwortenLöschen
  19. Ich reiße ganz schnell und ganz weit meinen Arm hoch und wedle wie verrückt damit hin und her: Hier! Hiiiiier! HIER! Hier ist auch eine Mama, die jeden Tag aufs Neue motiviert ist und dann doch bei Minute Drei des täglichen Kampfes gegen volle Geschirrspülmaschinen, mannshohen Bergen vor der Waschmaschine und hamstergroßen Staubflusen im Wohnzimmer von ihren To do Listen überrollt wird!
    Ich ertrage die Mein-Kind-kann-mehr-als-deins-Challenge nicht und kann es einfach nicht mehr hören dass anderer Leute Leben ach so perfekt sein soll! Ich mache meine Sache gut. Dennoch versinke ich im Chaos und hinke meinem Privatleben als Einfach-nur-Ich-und-mal-nicht-nur-Mama chronisch viele Wochen hinterher.
    Deshalb bin ich sicher dass kaum einer dieser Supermütter da draußen ihrem Ruf gerecht werden. Die ziehen auch alle Abends das Supermom-Cape aus und sind verzweifelt, kaputt, einsam oder alles zusammen.
    Wir sollten mehr zusammen halten. Aber dafür sind Frauen vielleicht nicht gemacht.
    Jeder der mag kann gern bei mir vorbeischauen und sich durch mein Leben klicken. Ich freu mich auf ein bisschen Anfeuerung ;)

    Und dir Okka, lieben Dank. Das ist eine wunderbare Idee!

    AntwortenLöschen
  20. Liebe Okka,

    danke für diesen Text!! Ich war gerade zum ersten Mal mit meinem Mann und meiner Dreijährigen im Urlaub und was soll ich sagen? Es war wunderschön, aber echter Urlaub sieht anders aus. Im Urlaub möchte ich mich eigentlich auch gerne mal gehen lassen und nicht immer meinen Tagesaublauf an den Bedürfnissen eines Kleinkindes ausrichten. Ich liebe mein Kind über alles, bin belastbar und multitasking-tauglich. Doch ich erinnere mich auch noch sehr gut daran, wie schön das Leben als Paar ohne Kind war. Und die Herausforderungen in den letzten drei Jahren haben mich zum Teil über meine Grenzen gebracht.

    Ich frage mich ständig, wie andere den Alltag mit Kind(ern), Job, Ehe, Hobbys, Freunden etc. bewältigen. Leider ist das aber ein heißes Eisen und ehrliche Antworten bekommt man tatsächlich selten.

    Mich hat dein offener, wie immer grandios formulierter Text beruhigt und erleichtert und ich hoffe, auch du fühlst dich nun noch ein paar Kilo leichter:-)

    Alles Liebe,
    Marion

    AntwortenLöschen
  21. das hast du sooo toll geschrieben. Perfekt drückt es alles aus, was ich fühle.

    lG Janine

    AntwortenLöschen

« »

Slomo All rights reserved © Blog Milk Powered by Blogger