Als ich anfing, Musik zu hören, sah das so aus: Zusammengekauert in der Hocke, neben dem Plattenspieler, dicht vor der Box, ganz konzentriert. Später alternativ in ähnlicher Position vor dem Kassettendeck, den Finger auf der Aufnahmetaste, um meine Lieblingssongs aus den britischen Charts (eindeutig cooler als die deutschen) mitzuschneiden. Nur noch Ohr. Weswegen egal war, ob die Körperhaltung dabei besonders elegant oder gesund aussah. Doch dann fing irgendwann das Nebenbei-Musikhören an. Neben den Hausaufgaben. Neben dem Lesen. Neben dem Telefonieren. Beim Lernen für die Uni. Beim Kochen. Beim Küssen. Hintergrundteppich. Jahrelang. Seit einer Weile bin ich - mit der Ausnahme von Dinner-Hintergrundmusik, aber das ist eine eigene Kategorie - wieder da angekommen, wo ich mal angefangen hab: Ich höre Musik nur, wenn ich nichts anderes machen will, außer eben Musik zu hören. Heute meine volle Aufmerksamkeit für diese Fünf:
The McGarrigle Hour
Meine Sonntagsplatte. Seit über zehn Jahren. Ein Sommer in den USA ist schuld daran. Und mein dortiger Mitbewohner, der die Musik beim sonntäglichen Pancakebacken auflegte. "The McGarrigle Hour" ist im schönsten Sinn des Wortes ein Familienalbum. Die Schwestern Kate und Anna McGarrigle, kanadische Folkmusik-Größen, singen Traditionals, Songs von Cole Porter oder Irving Berlin und das Beste aus der eigenen Feder. Zusammen mit ihren Männern oder Ex-Männern, mit ihren Kindern, noch mehr Geschwistern oder Freunden. Wie Kate und Anna in "NaCl" die Liebesgeschichte chemischer Elemente erzählen. Oder Kates Sohn Rufus Wainwright über Herzschmerz nachdenkt: Now this song´s useful when you´re really drunk. Ich höre diese Platte immer noch am liebsten am Sonntagmorgen, mit Pancakes im Bauch.
Hauschka
Hauschka nennt sich der Mann, der hier Klavier spielt. Und dabei mit dem Klavier spielt. Filz oder Alufolie reinklemmt, Pingpongbälle reinschüttet, drauf rumklopft, an den Saiten zupft. Es plöppt und klickt und raschelt und ploingt. Puckert rhythmisch wie elektronische Musik oder klimpert wie eine Spieluhr. Klingt gradlinig wie Kraftwerk oder verträumt wie die fabelhafte Welt der Amelie. Wunderbare Sehnsuchtsmusik. Am schönsten ist es, sich leibhaftig anzuschauen, wie Hauschka das macht. Auch schön ist, es sich von ihm erklären zu lassen (in diesem ausführlichen Interview). Doris Dörrie hat ihn nun auch für sich entdeckt. Vielleicht das Schönste an ihren neuen Film "Glück".
Phantom/Ghost
Noch ein Klavier. Und ein bisschen Elektronik. Und diese Stimme, die man kennt, weil sie mal davon sang, Teil einer Jugendbewegung sein zu wollen. Phantom/ Ghost klingen nach Musik zu Roadmovies, die noch gedreht werden müssen oder nach Musical. Und wenn Dirk von Lowtzows Stimme sich in ihrem eigentümlich hart klingenden Englisch immer tiefer und tiefer schraubt, wünsch ich mir, dass er sich als nächstes an einem Leonard-Cohen-Cover versucht. Right Said Fred geht aber natürlich auch.
Those Dancing Days
Bei Those Dancing Days häng ich nicht nur still vor der Box, da zappel ich auch durch den Raum. Fünf schwedische Mädchen wecken mich aus dem Winterschlaf und in mir Bewegungsdrang. Reiselust und den krausen Gedanken, doch noch Schlagzeug zu lernen und eine Band zu gründen.
Portico Quartet
Wieder mal ist ein Foto Schuld, dass ich mir diese Band überhaupt anhöre. Ein Tourplakat, ansprechend fotografiert, an der Wand einer Bahnunterführung klebend. Dran vorbeigeradelt, aus den Augenwinkeln gesehen, Moment mal, gestoppt, zurück, noch mal drauf geschaut: Portico Quartet. Nie gehört. Konzerttermin schon vorbei. Zum Glück den Namen gemerkt, denn beim Suchen im Netz und Anhören macht es bei mir: Klick. Oder auch: Klöng. Denn da ist dieses seltsame Instrument neben der Besetzung aus Saxophon, Bass und Drums, das den Rahmen eines gängigen Jazzquartetts sprengt. Hang heißt es, eine Erfindung aus der Schweiz, wie ein metallenes Ufo aussehend und ein bisschen nach Steeldrum klingend. Die Musik, die die vier Jungs aus London damit fabrizieren, ist treibend und doch beruhigend, melancholisch, exotisch, sehnsüchtig. Der perfekte Soundtrack um dazu auf einer langen Zugfahrt aus dem Fenster zu schauen. Oder dabei am Meer zu stehen, bei windigem noch grauem Vorsaisonwetter.
Und ihr? Zelebriert ihr das Musikhören oder tut ihrs nebenbei? Und welche Musik braucht auf jeden Fall eure volle Aufmerksamkeit?
Kirsten
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Wir haben uns vor ein paar Jahren einen tollen Fernseher gegönnt - so ein superdesigntes dänisches Stück fürs Leben. Als das hier installiert wurde wurden uns natürlich die Sender eingestellt und sonstige Funktionen programmiert. Der Akustikingenieur (jaja unter dem machen die es nicht) ist schier verzweifelt an mir. Erstens wollte ich so komische Programme wie ARD, ZDF, 3sat, arte, phönix ... vorn plaziert haben (bei den digitalen ist das noch verrückter). Und dann die Musik: Radio das gleiche Spiel mit den Sendern, gibt sie ja, aber sie heißen nicht (also hier) WDR 2. Was aber am wichtigsten war, ich musste meine Videos sehen können, KOnzertmitschnitte und so - und amit erschloss sich dem Ingenieur auch die ausschweifende Lautsprechergestaltung um den "Fernseher", denn fern gesehen wird damit wahrscheinlich am wenigsten.
AntwortenLöschenLange Rede dafür, dass ich nur betätigen will, dass ich auch ganz bewusst Musik höre und dazu sogar einen bestimmten Platz einnehme.
Schlaf gut! Grüße! N., die sich jetzt noch einen kleinen Wein gönnt weil sie fleißig war und dann auch ins Bett geht.
Cheers, Nelja! Schlaf gut!
AntwortenLöschenMir gehts da auch so, Musik braucht volle Aufmerksamkeit.
AntwortenLöschenDeswegen bin ich beim Musikhören unerträglich, sozial völlig inkompetent. Gesprächsunterbrechungen aufgrund spontanen Mitsingens oder wegen der Hinweise auf musikalische Raffinessen inbegriffen. Oder weil ich eben auch drauf losheule, wenn die Musik entsprechend ist, völlig verständnislos mit wässrigen Augen mein Gegenüber anstarrend, weil derjenige "gar nicht zugehört" hat.
Klingt das verrückt? Nein, nur nach Musikhören, oder?
Danke für die tollen Musikhinweise, Kirsten! Hauschka kannte ich bisher noch gar nicht, wird definitiv nachgeholt, denn das erste Anhören klang schon sehr, sehr gut.
Hach romy, wie schön! Lass uns zusammen zur Musik weinen. Ich ernte hier auch oft Unverständnis. Ist doch nur ein Song (oder eine Arie) - obwohl, ich brauche da nicht mal Text für.
LöschenOh ja, lass uns das machen! Was bei mir auch immer wirkt: Sigur Rós. Heulen. Auf der Stelle. Weils so schön ist. Oder so traurig, je nach Stimmung. Die Sprache verstehe ich ohnehin nicht, ist alles nur im Kopf.
Löschenich freu mich sehr darauf, diesen inspirationen morgen nach zu spüren. wundervoll geschrieben! danke.
AntwortenLöschenAch ja.. Those Dancing Days. Eine der tollsten Mädchenbands, die ich kenne - ich war sehr traurig, dass sie sich nächstes Jahr aufgelöst haben! Mein Lielingssong ist "home sweet" home und sie haben live auch oft "Toxic" von Britney Spears (jaha!) gecovert - großartig!
AntwortenLöschenJa, mittlerweile höre ich Musik auch lieber, wenn ich mich darauf konzentrieren kann. Und ich sehe Musikern so gerne zu, wenn sie ihre Musik selbst genießen. Wie Tina Dico z.B.
http://www.youtube.com/watch?v=GRsvtW73QP0&list=FLcTr_M6Uo0B8EO1EGi9vmKw&feature=mh_lolz
Äh.. ich meinte natürlich LETZTES Jahr! Ich bin ja keine Hellseherin. ;)
LöschenAch wie schön, endlich mal zu lesen, dass ich nicht alleine bin... Ich LIEBE die Musik, schon immer! Meine Eltern haben Musik gemacht, meine Brüder und ich sind quasi damit aufgewachsen. Ich liebe ein altes Foto, auf dem meine Hippie-Eltern mich (gerade ein paar Wochen alt) zu ner Band- oder Chorprobe mitgenommen haben und im Vorläufer eines Maxi-Cosis einfach unter nen Tisch geschoben haben zum schlafen. Hab wohl alles verpennt oder interessiert gelauscht ;-)
AntwortenLöschenKlar, dass wir heute alle immer noch mit der Musik verbunden sind.
Früher habe ich genauso wie Kirsten Musik gehört. Das halbe Wochenende vor dem Kassettenrekorder und mit 2 Fingern an der RECORD-Taste verbracht. Heute ist es mit Job und wenig Freizeit leider eher etwas "Nebenbei-Hören" geworden. Ich genieße jedoch mittlerweile meine Fahrtzeiten (immerhin morgens und abends 1 Stunde!), um neue Musik und CDs im Auto zu hören...
Musik löst bei ir Erinnerungen, Gedanken, Gefühle aus. Ich bin sowas von weit weg am Wasser gebaut. (Titanic mit Leo und Kate: Alle um mich herum schluchzen im Kino. Ich: Ey, ist doch vooooll unrealistisch, höhöhö.) Mit einer Ausnahme (Biografie von Robert Enke) habe ich wirklich noch nie bei nem Buch, nem Film geheult. Aber bei Musik? Da gibt`s dann manchmal kein halten mehr...
Ich sach nur: http://pinterest.com/juli_rott/music-was-my-first-love/
... und das kommt bald als nächstes Tattoo zu meinem Notenschlüssel. Yes.
Danke für diesen super super obertollen Beitrag!!!
Allerbeste Grüße an Kirsten und Okka!
Jules
liebe kirsten, in deine fünf steige ich am wochenende mal ganz tief ein. ich habe absolute musikphasen. es gibt zeiten, da kann ich keine musik ertragen, und es gibt zeiten, da muss es nur musik sein. im moment befinde ich mich in der zweiten phase. ganz frisch für mich entdeckt: gudrid hansdottir. ihr seid ein sehr gutes paar, du und okka :)
AntwortenLöschenSehr schöne Musiktipps, Kirsten! Danke.
AntwortenLöschenBesonders Portico Quartet hat mir gefallen.
Das mit der vollen Aufmerksamkeit auf die Musik hat sich leider ganz schön verloren.
Aber danke, dass du mich auf so etwas Schönes aufmerksam gemacht hast.
Liebe Grüße,
Isabell
Eine schöne Auswahl! Bewusst Musik höre ich derzeit nur unbewusst - so wie es manchmal einfach passiert, man hört ein Lied und findet sich dann plötzlich mit Kaffetasse in der Hand am Fenster oder im Kinderzimmer auf dem Boden hockend wieder und ist dieses eine Lied lang ganz bei sich, so nah, wow, und drumherum ist alles still. Ich liebe diese Momente.
AntwortenLöschenFür solche Momente ist Nina Simone immer gut, gerade mag ich auch Feist sehr gerne: http://www.youtube.com/watch?v=RDUzHBDAcOo&feature=relmfu
Liebe Grüße!
Mailis