KIRSTENS FÜNF

Gäbe es diesen Blog nicht, wäre ich Okka wohl nie begegnet. Wobei "begegnet" bisher nur im virtuellen Sinn zutrifft. Erst habe ich Slomo still gelesen, dann mich getraut, einen Kommentar zu schreiben. Über das Kommentieren entstand ein Mailwechsel. In Realität haben Okka und ich uns noch nicht getroffen. Wie groß also meine Freude, als sie mich fragte, ob ich für Slomo eine Kolumne schreiben mag. Ja! Ja! Ja! Ihr blindes Vertrauen ehrt mich wahnsinnig.

Ich bin Kirsten, 34, lebe in Köln und habe durch meinen Beruf als Dramaturgin und Producerin einer Fernsehserie das (für mich) schönste Privileg der Welt: Ich darf täglich in Geschichten abtauchen. Als Kind verschlang ich jede Woche stapelweise Bücher aus der Stadtbibliothek. Meiner Mutter war das so unheimlich, dass sie mich irgendwann mal abfragte, weil sie nicht glauben konnte, dass ich wirklich alles gelesen habe. Als Teen war der Videorekorder mein liebstes technisches Gerät. "Guckst du schon wieder einen sozialkritischen Film?" hat mein kleiner Bruder immer gefragt, wenn ich wieder das Wohnzimmer blockierte, um nachts aufgenommene Kleine Fernsehspiele oder Jim Jarmusch-Filme zu schauen. So ist eine Lebensliebe entstanden. Eine gute Geschichte entspannt mich, heitert mich auf, tröstet mich oder gibt mir eine neue Sichtweise auf ein rumgeschlepptes Problem. Sie kann geschrieben sein oder gesungen, gezeichnet oder gespielt, raffiniert gebaut oder nur angedeutet, super intellektuell oder schlicht unterhaltsam. Mal verliebe ich mich dabei in das Gesicht eines Schauspielers. Oder in seinen Gang. Oder in die Sprache eines Autors. In einen Songtext, ein Bühnenbild oder eine Comicfigur. Genauso aufregend finde ich es, diese Liebe zu teilen. Großes Glück, wenn jemand, dem ich ein Buch oder einen Film empfohlen habe, danach diesen einen Gesichtsausdruck hat, der sagt: Fand ich super.

Von den Dingen, in die ich im Kulturkosmos gerade am meisten verschossen bin, soll hier in regelmäßigen Abständen die Rede sein. Los geht´s mit fünf Frauen, die mich begeistern - neben Okka, ist ja klar:

SALLIE FORD +  THE SOUND OUTSIDE
Zuerst verguckte ich mich auf einem Foto in ihre Nerdmädchen-Brille. Ein Zeitungsbericht über ein französisches Musikfestival, auf dem Sallie mit ihrer Band auftrat. Dann habe ich sie mir angehört. Und mich gleich noch mehr verguckt. In Sallies Stimme. In die Lässigkeit, mit der sie und die Jungs rocken und swingen, jazzen und bluesen. In die Energie, mit der sie sich über den Niedergang des Radios beschwert, ihre Stadt Portland besingt oder die Komplikationen der Liebe. Ich wippe und swinge mit und freue mich drauf, was aus der noch wird, wenn sie mal groß ist. Momentan tourt sie bei uns durch die Lande.

CHARLOTTE GAINSBOURG
Die ist schon groß, in jeder Hinsicht. Nur ihre Stimme ist so klein wie bei all ihrer berühmten Verwandtschaft. Was nicht schlimm ist, weil sie Charlotte Gainsbourg ist. Die tolle Filme macht (auch wenn ich "Antichrist" nie schauen werde - zuviel Angst vorm Grusel), die so beneidenswert entspannt-gut gekleidet ist, die sich von coolen Musikern (Beck! Air! Jarvis Cocker!) Songs schreiben lässt. Dass sie sich vor zwei Jahren getraut hat, ihre Musik live zu spielen, fand ich mutig. Das Konzert werde ich nie vergessen. Wie diese sonst so kontrolliert wirkende Frau auf der Bühne aus sich herausgeht. Und dann gibt es diese eine Filmszene, die in meinem Kopf festhängt. Aus einem Film von Gainsbourgs Mann Yvan Attal (mit einem leider dämlichen deutschen Titel), der schön und mit spitzem Humor von drei Freunden erzählt, die mit sich, ihren Frauen und ihren Erwartungen an die Liebe hadern. Gainsbourg spielt eine der Ehefrauen. Sie wird von ihrem Mann betrogen und ahnt dies. Sie geht in einen Plattenladen und hört Musik. Radiohead. I´m a creep. I´m a weirdo. What the hell am I doing here? Der perfekte Soundtrack ihres Lebens. Ein Mann stellt sich neben sie und greift sich das zweite Paar Kopfhörer. Nicht irgendein Mann. Johnny Depp. Dieser Moment, der ist... hach.

MIA HANSEN-LØVE
Mia wer? Eben. Erfolgreiche Regisseurinnen haben immer noch Seltenheitswert. (Ist es wirklich erst zwei Jahre her, dass zum ersten Mal eine Frau den Regie-Oscar gewann? Unfassbar.) Seh ich einen guten Film, den auch noch eine Frau gemacht hat, freu ich mich doppelt. "Der Vater meiner Kinder" ist so ein Film. Mia Hansen-Løve porträtiert liebevoll den Filmproduzenten Gregoire. Sie erzählt davon, wie hart die Arbeit ist, kleine Filme zu machen. Wenn es nicht um Profit geht, sondern um reine Leidenschaft für die Kunst. Wenn das Familienleben mit der Frau und den Kindern zur Zerreißprobe wird durch die Arbeit. Auf halber Strecke nimmt die Geschichte eine wagemutige Wendung. Gregoire stirbt. Sylvia und die Töchter rücken ins Zentrum. Wie die Familie mit der Trauer umgeht und wie Sylvia versucht, die Firma zu retten, das ist so ehrlich und dabei mit einer solchen Leichtigkeit erzählt, dass es mich tief berührt hat.

DIE DÄNISCHE MINISTERPRÄSIDENTIN
Nein, nicht die echte. Brigitte Nyborg heißt meine und ist Heldin der dänischen Serie "Borgen". Eine leidenschaftliche Politikerin, der es nicht um Macht geht, sondern die politisch wirklich etwas bewegen will, integer und ehrlich. Als sie unerwartet Ministerpräsidentin wird, sieht sie sich mit Intrigen durch politische Konkurrenten konfrontiert. Oder auch nur mit dem Drama, nicht mehr in ihren Rock zu passen. Wahnsinnig sympathisch gespielt von Sidse Babett Knudsen (von der ich unbedingt mehr sehen will, wow!). Mein derzeitiges Seriensuchtmittel. (Die jeweils letzten beiden Folgen kann man bei Arte online gucken.)

MERYL STREEP
Gibt es überhaupt schlechte Filme mit Meryl Streep? Also richtig schlechte? Auf ihre Maggie Thatcher bin ich gespannt. In der Wartezeit bis dahin lande ich (wie so oft) bei Woody Allen und "Manhattan". Bei dem Streep echte Konkurrenz hat: Diane Keaton, Mariel Hemingway und SIE, die Stadt New York. Egal. Natürlich kann Streep mithalten. Gibt cool und wunderschön (diese Haare!) als lesbische Ex-Frau von Woodys Alter Ego die Rachegöttin. Und dieser herrlich blasiert-genervte Blick, den der arme Woody von ihr abbekommt, den sah man doch später irgendwo noch mal. Aber dann soll sie bitte singen. Nicht ABBA, sondern Country. "Last Radio Show" ist so gemütlich, die Musik so schön und selbst Lindsay Lohan akzeptier ich dort als Tochter von Meryl. Perfekter Rausschmeißer ins Wochenende (und am Freitag um 22.25 Uhr auf 3sat).

Welche Film- oder Musikfrauen findet ihr grad toll?
Kirsten

15 Kommentare:

  1. Hallo auf Okkas Blog! Schön von dir zu lesen. Tja, ich beschränke mich mal auf drei Frauen und dabei auch auf aktuelle (sonst wird die Liste endlos).
    1. Mit Meryl Sreep sind wir uns absolut einig.
    2. Jodie Forster - wobei sie mir als Schauspielerin besser gefällt, als als Produzentin oder Regisseurin.
    3. Madonna. Man muss sie nicht mögen, aber ich habe riesen Respekt vor ihrem Gespür, ihrer Disziplin und ihrem Können.

    Grüße! N.

    AntwortenLöschen
  2. Ach Kirsten, ach Okka!
    Das ist ja schön! So viele tolle Tipps.
    Da musste ich doch gleich auch noch deine alten Kommentare durchlesen
    und schmunzeln. a) weil ich mir eigentlich damals bei jedem Kommentar Tipps rausgegriffen hatte und b) weil so vieles meinem Geschmack trifft!
    DIE Kirsten bist du!
    Und schön ist es über meine liebsten Film- und Musikfrauen nachzudenken …
    Charlotte Gainsbourg auch ganz oben.
    Aber auch Anna Ternheim – was war das für ein tolles Konzert! Ebenso wow war Camille. Was für ein Energiebündel! Hammer!
    Rosemary Standley von Moriarty! Karin Dreijer Andersson von Fever Ray und The Knife! Joan Wasser! Natasha Khan alias Bat for Lashes! Leslie Feist! Cat Power! Super, die alle wieder rauszuholen! Was macht eigentlich Etta Scollo? Da gibt es so viele.
    Heute ist Frauen-Musik-Tag!
    Ich mag diese nicht perfekten Stimmen. Leises, lautes, mit kleinen subtilen Brüchen, Kratzern, starkes, verletzliches und die Stärke und den Mut das zu zeigen und hören zu lassen!
    Und Filmfrauen: Martina Gedeck, Maren Eggert, Sophie Rois, Nina Kunzendorf, Charlotte Rampling, Isabelle Huppert, …
    Jessica Chastain fand ich toll in Tree of Life … und Anne Le Ny in Ziemlich beste Freunde …
    Film gucken möchte ich jetzt.
    Eine super Liste hast du ja zusammengestellt zum „Abarbeiten“. Freue mich drauf!
    Herzliche Grüße, Isabell

    AntwortenLöschen
  3. Hallo Kirsten,

    hier kommen meine 5:

    ich finde grad die jüngeren Schauspielerinnen ganz toll, Kirsten Dunst (mmmmm, Melancholia), Michelle Williams (mmmm, Mammoth), Carey Mulligan (mmmmm, Never let me go). Bin sehr gespannt darauf, was sie aus ihren Karrieren machen werden, freue mich auf neue Filme, kauf mir ihre Biografien, falls Sie in 30 Jahren welche schreiben werden.

    Birgit Minichmayr - Sie hypnotisiert, ich schaue ihr zu und flieg mit ihr (mmmm, Alle anderen, auch & vor allem der Weibsteufel im Wiener Burg). Julia Jentsch (wo ist sie, spielt sie jetzt nur noch Theater? ich muss wieder ins Theater!)

    Und ja, hmm, Cameron Diaz, ich kann mich an keine von ihren Filmen erinnern, aber jedes Mal, wenn ich sie sehe, denke ich mir, dass ich sie gerne als Freundin hätte. Sie steht für mich für sorglosen Spaß, tagsüber Surfen auf Hawaii, abends mit coolen Typen am Lagerfeuer abhängen, dafür bin ich sofort zu haben ;o))

    Toller Beitrag, hat Spaß gemacht, zu lesen, über eigene Präferenzen nachzudenken, jetzt freue ich mich über andere Kommentare! Unbedingt beibehalten, Okka, 5 Fußballer, wie wärs?

    Liebe Grüße!
    Mailis

    AntwortenLöschen
  4. Obwohl mir gerade keine fünf Favoriten einfallen, so möchte ich doch kurz sagen, wie toll ich Deine Kolumne finde und ich kann gar nicht erwarten, die nächste Inspiration von Dir zu bekommen! Liebe Grüße

    AntwortenLöschen
  5. ....ah....meryl streep die ist einfach sooooooo toll!ansonsten mag ich anna loos, ich finde die hat sowas lässiges. genau wie hannelore elsner. wenn ich mal "alt" bin, möchte ich so sein wie sie (obwohl wir äusserlich nix gemein haben).
    klasse finde ich auch martina gedeck. mieze von mia ist natürlich auch toll! je länger ich überlege, je mehr super-frauen fallen mir ein...ich glaub, ich hör jetzt lieber auf;-)...
    liebe grüße,
    susanne

    AntwortenLöschen
  6. Oh, danke, Ihr seid toll. Ich hatte heute morgen ziemliches Herzklopfen, als Okka mir schrieb, dass mein Text online ist. Mein erster Blogeintrag ever. Aufregend.

    Mir fallen auch noch endlos weitere tolle Frauen ein - darunter so ziemlich alle, die Ihr nennt, hach!

    Mailis: Julia Jentsch ist derzeit - allerdings nur in einer kleinen Rolle - in den Kinos im neuen Film von Hans Weingartner ("Die fetten Jahre sind vorbei") zu sehen: http://www.summemeinerteile.de/
    Und spielt in Margarethe von Trottas Film über Hannah Arendt mit, auf den man sich aber noch etwas gedulden muss:
    http://www.tageblatt.lu/kultur/story/22151123
    Oh, und Carey Mulligan, ich will unbedingt noch "Drive" mit ihr sehen!

    Liebe Grüße,
    Kirsten

    AntwortenLöschen
  7. Einfach tolle Frauen! Und Jim Jarmusch-Filme lieb ich auch! Liebe Grüße, Theresa

    AntwortenLöschen
  8. Was für eine tolle Kolumne, da freuen wir uns schon auf die nächste *Ausgabe*, von tollen Frauen kann man nie genug haben!!!! Danke für die tollen Tipps.
    Liebe Grüsse
    rosa & limone

    AntwortenLöschen
  9. Na toll, Kirsten, jetzt bin ich in Borgen verliebt. ;-) Gleich versucht, die DVDs zu bestellen. Und verdammt: Ich muss bis Mai warten. Gerade bin ich dann beim Zappen darauf gelandet und musste mich so zwingen, nicht weiterzugucken. Ich will doch nicht bei Folge 5 einsteigen.
    Danke für deine tollen Tipps und Anregungen. Schön, dass du jetzt hier einen Platz gefunden hast.

    Liebe Grüße
    Kerstin

    AntwortenLöschen
  10. Tolle Entdeckungen! Danke, Kirsten. Ich freu mich schon auf die nächste Kolumne. Bis dahin schaff ich's dann vielleicht auch endlich mal wieder "Silkwood" zu gucken, mein Lieblingsfilm mit Meryl Streep. Wie jung sie da noch war, wie großartig schon damals, wie sehr ich jedes Mal flennen muss...

    AntwortenLöschen
  11. Liebe Kirsten,

    danke für diese Inspiration, es macht großen Spaß, "Dich" zu lesen. Deine intelligente Subjektivität finde sehr, sehr interessant; macht neugierig!
    Schade nur, dass das Leben so kurz ist, denn ich werde es wohl nicht schaffen, all das zu lesen, zu sehen oder selber zu bloggen, was mich begeistert und verlebendigt.
    Freue mich schon auf Neues von Dir!
    Irene Fischer

    AntwortenLöschen
  12. willkommen, kirsten. danke für sallie ford :)

    AntwortenLöschen
  13. danke danke danke. das problem ist ja: irgendwann lebt man so sortiert, dass das universum, in dem man sich bewegt, auch so sortiert ist. zu wenig, über das man einfach so stolpert, zu viel filter bubble, die menschen, die man kennt, haben eher mehr als weniger dieselben vorlieben wie man selbst (unter anderem kennt man sie ja deswegen), man rennt nicht mehr so aufs geratewohl rum und in entdeckungen rein, man weiß zwar, dass es irgendwo die musik und die filme und die schauspieler und die romane geben muss, die einen umschmeißen können, aber man ist nicht mehr im streunermodus, also kommt man dem, was einen umschmeißen könnte, zu selten in die nähe. nicht bei der berlinale gewesen, sowieso schon lange nicht mehr in konzerten, zu viel zu tun, und wenn nichts zu tun ist, doch lieber bei okka und fanny. deswegen bin ich so so dankbar für das hier, genauer für die namen, die ich nicht gekannt habe, frau knudsen und frau hansen-løve, die mich schon mal interessiert hat, ohne dass ich dem nachgegangen wäre, weil sie mit olivier assayas ein paar ist.

    hier, als retoursendung, drei andere frauen:

    eva jantschitsch a.k.a. gustav
    österreichische musikerin, macht so irre gute lieder, hier ist eines davon:
    http://www.youtube.com/watch?v=_PmUb8X0ceM

    emmanuelle devos
    fantastische französische schauspielerin, vor allem in den filmen von desplechin, mit dem sie seit immer und ewig befreundet ist, hier ist eine szene aus einem schon ein paar jahre alten film:
    http://www.youtube.com/watch?v=c6LmQ137yRw

    isild le besco
    französische schauspielerin und regisseurin, wild und solidarisch mit den deklassierten, demi tarif ist ein ganz ungeheurer film, hier sind ein paar videos, auf youtube findet man eher nur schrott:
    http://www.imdb.com/name/nm0494066/videogallery

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke für Gustav, ich wollte sie auch nennen, allerdings ein anderes Lied (alles renkt sich wieder ein). Es geht dort irgendwie so "ich will die Kinder weinen hören, die Mütter alleine flehen am Grab", das bringst Du hier nicht, hab ich gedacht. Tolle Texte!

      Liebe Grüße!
      Mailis

      Löschen
  14. oh ja, pp wie recht du hast!
    fernab der eigenen pfade bewegen und neues kennenlernen! danke für die tipps!

    AntwortenLöschen

« »

Slomo All rights reserved © Blog Milk Powered by Blogger