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UND WIE MACHST DU DAS, ELISABETH?
EIN MUTTERFRAGEBOGEN



Heute gibt es mal wieder einen Mutterfragebogen. Beantwortet hat ihn die Berliner Fotografin Elisabeth Schoepe. Herzlichen Dank dafür!

Name: Elisabeth (und Evi )
Alter: 49
Mutter von: Emil, fast 13
Stadt: Berlin

Wie ist bei dir die Kinderbetreuung organisiert?
Eine Kinderbetreuung ist nicht mehr nötig. Emil ist 12, relativ selbstständig und da er eine Ganztagesschule besucht, auch erst gegen 17 Uhr zu Hause.

Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?
Ich arbeite seit vier Jahren als freie Fotografin und seit knapp einem Jahr zusätzlich für 24 Stunden in der Woche fest angestellt, um die Krankenkasse und Rentenbeiträge sicher zu finanzieren. Beide Sachen lassen sich ganz gut miteinander verbinden, im Frühjahr und Sommer fotografiere ich samstags oft Hochzeiten. Die Bildbearbeitungen kann ich dann zu Hause erledigen und wie es am besten passt in den Alltag integrieren. Das heißt aber auch, dass ich je nach Auftragslage abends oder am Wochenende eine zweite Schicht einlegen muss.

Wieviel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen Aufgaben? Reicht sie dir?
Eigentlich schon. Nachdem ich in meinem bisherigen Berufsleben immer fest angestellt war, genieße ich es sehr, mir jetzt die Zeit relativ frei einteilen zu können. Auch mal spontan, wenn gerade die Sonne scheint, eine Runde mit dem Rad zu drehen. Oder am Vormittag eine Ausstellung zu besuchen. Die Wochenenden verbringen wir meist als Familie. Jeder von uns schafft sich aber auch immer mal seine eigenen kleinen Inseln.

Wie sieht ein ganz normaler Wochentag bei euch aus?
Emil muss jeden Morgen um 7.30 Uhr los, um pünktlich in der Schule zu sein. Mindestens einer von uns frühstückt kurz mit ihm und schickt ihn in die Spur. Der Rest richtet sich nach Dienstplan und jeweilig anstehenden Aufträgen und Aufgaben, sowohl bei Evi, als auch bei mir. Entsprechend unterschiedlich ist auch die Feierabendzeit. Emil hat bis 16 Uhr Unterricht und ist dann kurz vor 17 Uhr zu Hause. Da bleibt gar nicht mehr viel vom Tag übrig. Manchmal verabredet er sich noch mit einem Freund, und einmal in der Woche geht er zum Gitarrenunterricht. Von einigen Ausnahmen abgesehen, essen wir gemeinsam Abendbrot (und kochen es manchmal auch zusammen). Seit kurzer Zeit schauen wir öfter zu dritt die Tagesschau. Emil verschwindet danach in Bad und Bett und wir genießen den Feierabend (falls es nicht noch Bildbearbeitungen bei mir, Elternarbeit für die Schule bei Evi oder Verabredungen gibt) auf der Couch mit Buch oder Glotze oder Computer. Wenn es wärmer ist, sind wir gern in unserem Hof. Dort kann man entspannt mit einem Glas Wein sitzen und über die Erlebnisse des Tages plaudern.


Was empfindest du als besonders anstrengend?
Früher fand ich es anstrengend, im Alltag so viele Sachen, die eigentlich so simpel und eben notwendig sind, immer wieder sagen zu müssen. „Putz dir die Zähne” zum Beispiel habe ich eine Zeit lang wohl 20 Mal am Abend gesagt, bis Emil endlich die Zeit dafür hatte, nachdem doch noch so viel Wichtiges zu erledigen war. Heute geht’s da eher um die Zeit, die mit Daddeln, Handy oder X-Box verbracht werden darf. Aber ich denke, das ist ganz normaler Alltagswahnsinn und eben manchmal anstrengend, wenn man nicht genügend Schlaf hatte oder allgemein mit sich und der Welt unzufrieden ist.

Was macht dich besonders glücklich?
Dass wir alle drei gesund gemeinsam leben und wir als Familie gut funktionieren, uns aufeinander verlassen können. Ich finde es unheimlich schön zu sehen, wie Emil groß und auch langsam erwachsen wird, wie gut man mit ihm inzwischen Gespräche führen kann. Wenn ich merke, dass wir uns über die gleichen Dinge amüsieren. Mit ihm zusammen unterwegs zu sein, wenn er auch nicht sofort begeistert ist, und wir dann beide Freude daran haben. (Neulich waren wir im Jüdischen Museum und nicht nur von dessen Inhalt, sondern auch beide von der Architektur sehr beeindruckt.) Ansonsten: Licht, das ins Fenster scheint, Frühstück in der Sonne, Wellenrauschen und das Klicken der Steine am Strand, ein gutes Gespräch, die kleinen Dinge am Wegesrand, der weite Himmel im Havelland (wo wir gerade mit meiner Schwester und ihrer Familie unseren „Landsitz“ ausbauen).

Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft, die Politik, Menschen mit Kindern ausreichend unterstützt? Was müsste deiner Meinung nach besser oder anders werden?
In erster Linie fällt mir der aktuell hohe Reformbedarf im Schulsystem ein. Wir haben uns an einem Schulgründungsprojekt einer freien, reformpädagogischen Schule als Eltern und Vorstandsmitglied über einen Zeitraum von sechs Jahren intensiv beteiligt. Unser Sohn wurde als eines der ersten Kinder eingeschult und hat diese Schule bis zum Ende der 6. Klasse erfolgreich besucht. Er ist immer und jeden Tag gern in die Schule gegangen. Wir haben beinah täglich erlebt, dass die Kinder begeistert – auch Kinder mit Handicap – gelernt haben. Doch zugleich haben wir im gesamten Zeitraum starken Gegenwind der staatlichen Schulinstitutionen, politisch besetzten Ämter und Parteien zu spüren bekommen. Eine Schulpräsentation in der Bezirksverordnetenversammlung unseres Stadtbezirkes oder vor dem zuständigen Schulausschuss bildeten dabei die Höhepunkte der negativen Erfahrungen. Obwohl wir früher als Regelschulen das staatlich verordnete Konzept der Inklusion tatsächlich umzusetzen wussten, hatten wir nicht das Gefühl von Anerkennung oder Respekt.

Reformpädagogische Konzepte, insofern diese professionell und verantwortungsbewusst umgesetzt werden, zeigen mehr als überzeugend sehr erfolgreiche Bildungswege auf, an deren Ende bildungswillige und begeisterte Kinder stehen können, die zudem eine ganz besondere soziale Kompetenz entwickelt haben. Nach unserer Einschätzung ist das auch bei den sogenannten Entscheidungsträgern bekannt, wie auch ähnliche Erfolgsrezepte europäischer Nachbarn. Wir fragen uns nur, was noch alles wissenschaftlich belegt werden muss, ehe sich etwas strukturell verändert.


Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, das du vorher nicht wusstest?
Wie schön es ist, überhaupt ein Kind zu haben. Dass es diese bedingungslose Liebe, die man so wohl nur einem Kind gegenüber empfindet, wirklich gibt und dass man dazu nicht biologisch mit ihm verwandt sein muss. Dass man stärker und mutiger ist, als man glaubte. Dass man, gegen seinen Willen, doch auch manchmal die Sprüche der Eltern aus seinem eigenen Mund hört.

Drei Lieblinge: Ein Film, ein Buch, ein Blog?
Schwer, sich auf jeweils eins festzulegen. Das ändert sich auch immer mal. Ein Film: „Muriels Hochzeit“. Ich sah zum ersten Mal Toni Collette und war total beeindruckt. Außerdem mag ich Wes Anderson. Buch: „Eine andere Welt“ von James Baldwin. Das erste Buch, das ich als Teenager in der DDR las, in dem Homosexualität vorkam und das wirklich in einer völlig anderen Welt, nämlich New York, spielte. Und: „Die hellen Tage“ Zsuzsa Bánk. Ein Blog: Stepanini.

Ein Gegenstand deines Kindes, den du ewig aufbewahren wirst?
Es gibt eine kleine Kiste mit dem ersten Strampler, Rassel, Bernsteinkette, Karten zur Geburt, einer Tageszeitung von seinem Geburtstag und den ersten Schuhen. Das Wichtigste aber ist wohl „Hundbruder Fritz“. Den hat er sich schon früh unter seinen Schmusetieren als einzig wahren und treuen Begleiter ausgesucht. Besonders unentbehrlich war er in den ersten Wochen im Kindergarten und auch sonst hatte Emil ihn, mit sicherem Griff im Genick, immer dabei. Noch heute liegt er in seinem Bett, wenn auch etwas in die Ecke gedrückt. Ist aber bisher jeder „Der Kinderkram muss jetzt mal raus“-Aktion entkommen.

Kommt gut in diese Woche!

Alle anderen Fragebögen sind hier nachzulesen.
Alle Fotos: Elisabeth Schoepe.

UND WIE MACHST DU DAS, MARCELLA?
EIN MUTTERFRAGEBOGEN


Heute mal wieder ein neuer Mutterfragebogen. Beantwortet hat ihn Marcella, die in einem Dorf bei Bremen wohnt und auf ihrem Weblog „Anders und doch normal” vom Leben mit ihrem Sohn Evan schreibt.

Name: Marcella
Alter: 32
Mutter von: Evan (4)
Stadt: ein Dorf bei Bremen

Wie ist bei dir die Kinderbetreuung organisiert?
Nach einigen Anlaufschwierigkeiten mittlerweile zum Glück sehr gut. Mein Sohn Evan ist vier Jahre alt und geht in einen heilpädagogischen Kindergarten. Er ist mit einem sehr schweren Herzfehler auf die Welt gekommen und hat schon einige Operationen hinter sich bringen müssen. Zudem haben wir mit drei Jahren die Diagnose „Frühkindlicher Autismus” erhalten. Er spricht fast gar nicht und sieht das Leben aus einer ganz besonderen Sicht. In Evans Welt gehören alle Gitarren – oder was ihnen ähnlich kommt, wie Bratpfannen, Klobürsten oder Handfeger – ihm. Eine Welt, in der es nur Laugengebäck und Nudeln gibt. Eine Welt, in der die Reihenfolge der Autos eine größere Rolle spielt als die Autos selbst. Eine Welt voller Kikaninchens und Gummibären. Eine Welt, in der Musik eine große Rolle spielt. Evans Welt. Diese besondere Welt mit dem realen Alltag organisatorisch unter einen Hut zu bekommen, ist relativ schwierig. Zum Glück geht Evan sehr gerne in den Kindergarten und freut sich jeden Morgen aufs Neue, wenn unser lieber Busfahrer ihn von zu Hause abholt. Ich arbeite halbtags, manchmal auch am Nachmittag. Mittlerweile habe ich ein sehr gutes Netzwerk. Einmal die Woche kommt Elisabeth vom ambulanten Kinderhospizdienst und betreut Evan am Nachmittag, und einmal die Woche verbringt Evi von „Gemeinsam  e.V.” einen Nachmittag mit ihm. Evan hat auch ganz wunderbare Großeltern, die sich gerne und viel um ihn kümmern, so dass ich am Wochenende auch mal etwas alleine unternehmen kann.

Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?
Ich arbeite 25 Stunden die Woche als Fremdsprachenkorrespondentin an der Uni Bremen. Meistens am Vormittag, aber hin und wieder bin ich auch am Nachmittag bei der Arbeit anzutreffen. Mir ist meine Arbeit sehr wichtig. Ich habe lange in Brüssel gelebt und gearbeitet und war in meinem Job sehr glücklich. Aus Brüssel ist mittlerweile ein kleines Dorf bei Bremen geworden, und auch beruflich musste ich mich sehr verändern. Ich konnte früher in meinem Beruf sehr viel reisen und verschiedene Veranstaltungen der Europäischen Kommission und des Europaparlamentes besuchen. Ich habe im Bereich Public Affairs (Öffentlichkeitsarbeit) für eine schwedische Firma gearbeitet. Früher stand mein beruflicher Werdegang an erster Stelle. Heute ist es Evan. Nichtsdestotrotz möchte ich die Arbeit nicht missen, denn das ist mein Ausgleich. Sonntagabends denke ich nicht „Oh nein, morgen ist schon wieder Montag”, ich freue mich und fahre jeden Morgen mit einem Lächeln zur Arbeit. Ich glaube, wenn ich diesen wichtigen Ausgleich nicht hätte, würde ich den Alltag mit meinem Sohn nicht meistern. 


Wieviel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben? Reicht sie dir?
Ich habe mittlerweile gelernt, mir meine Inseln zu schaffen. Das sind manchmal nur kleine Momente. Auf dem Spielplatz in der Sonne zu sitzen und dabei Sushi zu essen und einen Sekt aus der Dose zu trinken. Ich nehme auch gerne weite Autofahrten in Kauf, um einen verlassenen Spielplatz oder ein Waldgebiet zu finden. Sich Inseln zu schaffen und zu haben ist lebenswichtig. Mittlerweile habe ich auch gelernt, mir meinen Raum – auch mit Evan – zu nehmen. Was ich früher als „mich aufgeben” empfunden habe, ist mehr zu einer Art Hingabe oder Aufgabe geworden. Mit Evan zusammen ich selbst zu bleiben, musste ich erst lernen, und ich lerne immer wieder dazu. Durch die tolle Unterstützung, die ich mittlerweile erhalte, kann ich meiner großen Leidenschaft nachgehen: dem Reiten. Zudem habe ich auch noch eine zweite Leidenschaft entdeckt: das Bloggen. Ich habe seit einigen Wochen einen Blog, in dem ich über unseren einzigartigen Alltag berichte.


Wie sieht euer Alltag aus?

Es ist oft schwierig zu beschreiben, wie Evans Autismus-Erkrankung unseren Alltag bestimmt. Wenn ich ihn ansehe, sehe ich nicht die Erkrankung, sondern ein einzigartiges und besonderes Kind mit einzigartigen und sehr besonderen Bedürfnissen. Heutzutage ist es allerdings schwierig, diese Bedürfnisse ausleben zu können und in unseren Alltag zu integrieren. Evan liebt sein Gummibärchen und seine Kikaninchen. Meistens sind sie mit dabei, wenn wir das Haus verlassen. Manchmal muss aber auch noch das Bobbycar oder sein Laufrad mit, sonst können wir nicht losfahren. (Es gibt Tage, da können wir wirklich nicht losfahren, weil ich Evan nicht überreden kann, in seinen Kindersitz zu gehen). Das Auto ist also eigentlich schon vor dem Einkauf voll (ich habe einen Kleinwagen). Wenn der Rehabuggy dann auch noch im Kofferraum ist, sieht es schon fast so aus, als ob wir in Urlaub führen. Evan und ich haben einen Lieblingswald, in dem wir sehr gerne spazieren gehen oder Evan Laufrad fährt. Leider dürfen wir immer nur den gleichen Weg gehen. Seit knapp zwei Jahren.

Evan schwimmt sehr gerne. Er liebt Wasser. Egal welches, ob See, Fluss, Pfütze, Teich oder Regentonne. Wenn er Wasser sieht, will er hineingehen. Leider lassen ihn meine Argumente, nicht in jedes Gewässer zu jeder Jahreszeit gehen zu können, kalt. Ich habe ihn schon aus etlichen Teichen oder Regentonnen holen müssen. Evan schmeißt auch mit Vorliebe Gegenstände in die Luft oder von der Treppe, ganz egal, wo wir sind. Am liebsten mag er zerbrechliche Gegenstände, weil die so schön laut sind, wenn sie den Boden berühren. Meine Heißklebepistole ist mittlerweile mein bester Freund geworden. Ich glaube, es gibt fast keinen Dekogegenstand mehr, der nicht geklebt worden ist, und das sieht man ihnen leider auch an. Neuerdings hat er auch das Autofenster für sich entdeckt. Nachdem Evan auf der Autobahn angefangen hatte, Gegenstände aus dem Fenster zu werfen, habe ich sehr schnell erkannt, dass ich meine Fensterkurbel abbauen muss. Evan ist, was seine Freunde betrifft, nicht gerade zimperlich. Meistens laufen sie vor ihm weg. Leider mag er dieses Spiel und freut sich, wenn sie schreien. Evans Lieblingsgebärde ist fertig. Er ist allerdings der festen Überzeugung, dass auch wirklich alles gleich – sofort – fertig sein muss, wenn er diese Gebärde benutzt. Die Gebärde Warten kennt er noch nicht. Anstehen und Warten existieren in Evans Welt nicht. Eigentlich bestimmt der Autismus unser ganzes Leben. Der Autismus gehört zu Evan. Es ist unser Leben und nicht nur eine Diagnose. Es ist der Alltag, der mich und Evan immer wieder aufs Neue fordert. In einer Welt zu bestehen, die nicht autistengerecht ist.

Hast du dir das Muttersein so vorgestellt, wie es ist? Was hast du dir anders vorgestellt?
„Wir müssen bereit sein, uns von dem Leben zu lösen, das wir geplant haben, damit wir das Leben finden, das auf uns wartet”: Dieser Spruch von Joseph Campbell begleitet mich jetzt schon seit einiger Zeit – eigentlich seit dem Tag, als ich von Evans Herzfehler erfahren habe. Durch seine Herzdiagnose und seinen Autismus hat sich mein Leben von heute auf morgen geändert. Jetzt werden viele Eltern mit gesunden Kindern sagen, dass jeder, der Kinder hat, diese Einschränkungen kennt und hat. Und das stimmt auch. Allerdings sind sie mit einem behinderten Kind viel einschneidender. Oftmals hat man das Gefühl, dass man sich komplett aufgeben muss. Und ich glaube, dass passiert auch zum Teil. Früher hatte ich die Vorstellung, dass sich mein Kind an mein Leben anpassen muss und nicht andersherum. Ich habe mich mit meinem Kind schon auf tollen Konzerten gesehen (mit riesigen Kopfhörern versteht sich). Museen besuchen, zusammen auf Reisen gehen, einfach gemeinsam die Welt entdecken. Reisen könnte ich jetzt nach Schweden in ein einsames Landhaus, und bei unserem letzten und einzigen Museumsbesuch hat Evan einem ausgestopftem Tier den Kopf abgerissen. Seine Kinderpsychologin sagte einmal etwas sehr Ehrliches zu mir: „Ihr Kind wird ihr Leben bestimmen und nicht andersherum.” Damals wollte ich es nicht wahrhaben, aber sie hatte recht. In erster Linie bestimmt Evan, was wir wann, wo und vor allem WIE machen. Natürlich gibt es Regeln und ich entscheide, wann wir einkaufen gehen, aber seine Autismus-Erkrankung bestimmt unser ganzes Leben und ganz besonders unseren Alltag.

Manchmal überkommt es mich, und ich reiße voller Elan und Enthusiasmus das Ruder an mich – ich fahre in eine Shopping Mall oder gehe in ein völlig überfülltes Freibad – um es dann wieder ganz schnell abgeben zu können. Viele meiner Freundinnen oder sogar Evans Therapeuten fragen mich, warum ich mir diesen Stress immer wieder antue und nicht einfach mit ihm zu Hause bleibe. Aber ich möchte mich nicht völlig zurückziehen. Auch wenn gewisse Situationen stressig sind, überwiegt noch immer der Moment. Und solange das so bleibt, werde ich auch weiterhin nach Italien in den Urlaub fahren und nicht nach Schweden.

Trotz all dieser Einschränkungen könnte ich mir mein Leben mittlerweile nicht mehr anders vorstellen. Durch Evans Erkrankung habe ich einzigartige und ganz besondere Menschen kennengelernt, die ich mit einem gesunden Kind nie kennengelernt hätte und dafür bin ich sehr dankbar. Ich wurde schon oft gefragt, ob ich mir nicht ein gesundes Kind wünschen würde. Ich kann diese Frage gar nicht beantworten. Natürlich würde ich mir wünschen, dass Evan gesund ist. Aber so ist es nun einmal nicht. Und sich sein Kind anders vorzustellen? Das kann und will ich nicht!


Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft, die Politik, Menschen mit behinderten Kindern ausreichend unterstützt? Was müsste deiner Meinung nach besser werden?

Meinem Sohn sieht man seine Behinderung nicht an. Evans Behinderung wird oft als ungehorsam oder einfach nur als frech abgestempelt. Egal, ob ich einkaufen, auf den Spielplatz, zu einer Hochzeit, in die Stadt, ins Café oder ins Schwimmbad gehe. Überall fallen wir auf und werden gleich erkannt. Erkannt als nicht ins System passende Menschen. Ich muss zugeben, dass das auch nicht schwer ist. Wir betreten einen Raum und es wird schlagartig laut bzw. lauter. Evan bleibt nicht an der Hand und ist generell sehr schwer lenkbar, wenn viele Leute um ihn herum sind und er keine Begrenzung mehr hat. Ich habe fast immer unseren Hilfsbuggy dabei, allerdings kann ich ihn mittlerweile nicht mehr so oft überreden, sich freiwillig dort hineinzusetzen und bei fast 20 Kilo Gewicht ist es ohne seine Zustimmung nicht einfach, ihn dort hineinzusetzen. Evan kann kaum bzw. gar nicht sprechen. Er lautiert sehr viel und versucht auch nachzusprechen, oftmals versteht er aber die Bedeutung des Wortes nicht. Wir haben also fast keine Möglichkeit zu kommunizieren, außer unsere Gebärden und Bildkarten. Bis jetzt versteht Evan ein paar einzelne Gebärden sowie Bildkarten.

Mit Evan an normalen Gruppenaktivitäten teilzunehmen ist außerordentlich schwierig, weil er sich einfach anders verhält. Dieses Verhalten erfordert viel Verständnis und Toleranz. Das Thema Inklusion ist für mich schwierig. Meistens hört es sich in der Theorie sehr gut an, im alltäglichen Leben kann ich es aber leider nicht ausleben. Wenn ich ehrlich bin, ist es mir schlichtweg zu anstrengend oder zu anstrengend geworden. Ich ziehe Sportgruppen für Behinderte oder Behindertencafés mittlerweile vor, dort fühle ich mich wohler. Das mag nicht richtig sein. Ich finde Inklusion toll und richtig, wenn sie funktioniert. Ich merke, dass Mitmenschen auf Personen mit gut sichtbarer Behinderung anders reagieren als auf Menschen, bei denen man es nicht sofort erkennt. Ich kann nachvollziehen, dass es am Anfang irritierend und schwierig nachzuempfinden ist, aber ich kann und möchte mich nicht ständig rechtfertigen. Ich lebe mit Evan alleine. Es erfordert höchstes Organisationstalent, alle Termine, den Haushalt, die Therapien und meinen Beruf unter einen Hut zu bekommen. Ich würde mir von der Politik mehr Unterstützung bezüglich der Kinderbetreuung wünschen. Zudem habe ich bis dato auch noch keinen Sportverein gefunden, der Evan aufnehmen könnte bzw. würde und das macht mich traurig. Abschließend möchte ich erwähnen, dass wir trotzdem noch gerne einkaufen, ins Schwimmbad oder ins Café gehen. Evan und ich lieben das Leben, denn das Leben ist schön!


Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, das du vorher nicht wusstest? 

Wie bedingungslos, ehrlich und rein Mutterliebe ist.

Ein Gegenstand deiner Kinder, den du ewig aufbewahren wirst?
Evans Gitarrensammlung – inklusive Klobürste, Handfeger und Bratpfannen.

Vielen herzlichen Dank, Marcella. Alle anderen Mutterfragebögen sind hier nachzulesen.

UND WIE MACHST DU DAS, TANJA? EIN MUTTERFRAGEBOGEN


Name: Tanja
Alter: 45
Mutter von: Luca (12), Finn (9) und Lina (4)
Stadt: Eine größere Kreisstadt in der Nähe von Stuttgart

Wie ist bei dir die Kinderbetreuung organisiert?
Das hat sich im Laufe der Jahre sehr verbessert. Wir leben jetzt in einer größeren Stadt, die sehr viel an Kinderbetreuung anbietet. Vor unserem Umzug war es viel schwieriger. In dem Dorf, in dem wir gelebt haben, gab es keine verlängerten Öffnungszeiten, keine Kleinkindbetreuung, und meine Eltern haben noch gearbeitet. Jetzt ist die Kinderbetreuung bei uns viel über die Schule und den Kindergarten organisiert. Meine Kinder sind an zwei bis drei Tagen bis 16 oder 17 Uhr in der Schule und im Kindergarten betreut. Ein Tag übernimmt meine Mutter nach der Schule die Kinder, was sehr gut klappt, da meine Eltern oft auch spontan einspringen können, wenn sich zu viele Termine überschneiden – seit anderthalb Jahren wohnen sie in derselben Stadt. Dann gibt es noch ein Netzwerk aus drei tollen Babysitterinnen und lieben Freundinnen, die mich unterstützen.

Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?
Auch das hat sich sehr verändert, seit ich mit den Kindern alleine lebe und seit meiner Erkrankung – ich hatte 2007 einen Schlaganfall. Und das ohne Vorwarnung, einfach so, von jetzt auf sofort. Ich war immer gesund, fröhlich und ein Sonnenschein, hatte mich vor meinem Schlaganfall aber einfach sehr verausgabt. Job, zwei kleine wilde Jungs (Lina war damals noch nicht auf der Welt), ein Mann im Studium, dann lange ohne Job, eine Hausrenovierung. Über lange Zeit fühlte sich das Leben einfach nicht mehr leicht an. Ich dachte, irgendwann wird es besser, wird es besser, wird es besser. Aber nichts wurde besser. Ich wurde sehr krank und bekam einen Schlaganfall mit Hirnblutung. Verlor meine Sprache, konnte nicht mehr schreiben und hatte nur noch Angst.
 Solch eine Angst, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Fürchterliche Angst zu sterben oder für immer behindert zu sein. Und das Gefühl, sich nicht mehr artikulieren zu können, werde ich nie vergessen.
 Das Allerschlimmste war diese unbändige Sorge um meine beiden Jungs. Dieses Gefühl, wie sehr man an seinem Leben hängt, ist unbeschreiblich. Ich bin dem lieben Gott jeden Tag sehr, sehr dankbar, wie gut es mir wieder geht. In der Klinik sagte ein Arzt Worte zu mir, die ich nie vergessen werde: „ Sie haben eine gelbe Karte bekommen. Ändern sie ihr Leben.“
 Er hatte Recht. Ich versuchte, mein Leben zu ändern – nicht sofort, aber nach und nach. Das war nicht immer einfach, rückblickend aber sicherlich das Beste. Ich bin auch überzeugt, dass alles im Leben seinen Sinn hat. Und sich immer eine neue Chance bietet.


Natürlich musste ich aufgrund meiner Erkrankung meine feste Anstellung als Leiterin eines Kindergartens aufgeben und alles neu organisieren. Heute arbeite ich freiberuflich als Dekorateurin und Stylistin, biete Kinderkurse an und bin Bloggerin. Das hat den Vorteil, dass ich relativ flexibel bin und etwas mehr Zeit für die Kinder und meine Gesundheit habe. Wobei ich, wenn ich ehrlich bin, natürlich meine Kollegen vermisse, den Austausch und die Anerkennung durch den Job. Daher habe ich ab Juli eine neue Herausforderung: Ich beginne in einer tollen Mode-Boutique, darauf freue ich mich sehr.

Wie viel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben? Reicht sie dir?
Das wechselt sehr. Es gibt Momente, in denen alles auf mich einstürzt und alle gleichzeitig etwas von mir wollen und an mir zerren. Da steht mir mein Perfektionismus auch oft im Weg. Aber auch daraus habe ich etwas gelernt und verschaffe mir bewusst Ruhepunkte und Glücksmomente.


Wie sieht ein ganz normaler Wochentag bei dir aus?
Die Jungs und ich stehen so um 6 Uhr auf. Wenn wir Glück haben und leise genug sind, schläft Lina weiter. Dann Frühstück und Vesper machen. Wenn die Großen um 6:45 Uhr Richtung Schule gehen, hüpfe ich in die Dusche und mache mich fertig. Dann bringe ich die Kleine zum Kindergarten und arbeite je nach Kinderbetreuung bis 13/14 beziehungsweise 16/17 Uhr. Bereite das Mittagessen vor, mache was im Haushalt oder Garten, beaufsichtige Hausaufgaben oder unterstütze das Lernen der Kinder. Fahrdienste zu den Freizeitaktivitäten der Kinder. Wenn es irgendwie geht, gemeinsames Abendessen. Dann gehen die Kleinen ins Bett. Der Große darf noch etwas aufbleiben. Und wenn im Haus dann so langsam eine himmlische Ruhe einkehrt, entspanne ich oft mit einem guten Glas Rotwein, oder der Babysitter kommt und ich genieße einen freien Abend.

Was empfindest du als besonders anstrengend?
Diese Frage hat mich sehr lange beschäftigt. Und sie ist auch nicht so ganz einfach zu beantworten. Ich bin – oder sagen wir: war schon immer – ein sehr fröhlicher und positiver Mensch. Und im Großen und Ganzen bin ich das auch heute noch. Aber ab und zu und oft auch mit großer Wucht überfällt mich eine riesengroße Angst. 
Angst davor, dass ich das alles nicht schaffe.
 Angst davor, die Dinge, welche die Kinder oder mich betreffen, oft fast alleine zu bewältigen oder noch schlimmer: Entscheidungen zu treffen, so ganz allein. 
Und ein wenig, wenn ich ganz ehrlich bin, auch die Angst, wieder zu erkranken. Aber es gibt viele Menschen, die uns zur Seite stehen und auch jederzeit ein offenes Ohr für uns haben, die bei Entscheidungen für uns da sind und uns unterstützen. Das erleichtert alles und macht sehr, sehr glücklich.

Was macht dich besonders glücklich?
Harmonische und entspannte Momente mit den liebsten Menschen an meiner Seite. Wenn ich ihre Liebe, Freundschaft und eine tiefe Verbundenheit spüre. Morgens der erste Cappuccino, Tage am Meer, Kinderlachen, Sonne, Wärme, schöne Dinge, tanzen, feiern, viel lachen, Freundschaften, roter Lippenstift, Musik, die mein Herz hüpfen lässt...


Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft, die Politik, Menschen mit Kindern ausreichend unterstützt? Was müsste deiner Meinung nach besser oder anders werden?
Oh je, sehr schwierig. Ich bin sehr froh, in dieser Gesellschaft zu leben. Aber da gibt es natürlich schon einige Dinge, die mir nicht gefallen: Die schlechte Lobby und Bezahlung von Erzieherinnen. Wenn sich da etwas ändern würde, würde es den Kindern auf jeden Fall zugutekommen. Und die oftmals recht schlechte Unterstützung von Alleinerziehenden.

Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, das du vorher nicht wusstest?
In dem Moment, als ich mein erstes Kind in den Armen hielt, fühlte ich mich sehr stark und stolz und dachte ganz spontan: „Jetzt kenne ich den Sinn des Lebens”. Hört sich vielleicht pathetisch an, aber ich empfand genau so. Man stellt sich selbst hinten an und liebt bedingungslos. Aber auch ich kenne die unbändige Hilflosigkeit, Wut und Ohnmacht, die Kinder so mit sich bringen. Wenn es mal wieder so weit ist, finde ich es ganz wichtig, sich als Frau und Mensch Auszeiten zu nehmen. Kraft zu schöpfen, indem man sich etwas Gutes gönnt. Viele schöne Ding für sich selbst zu tun, um wieder mit viel Kraft, Liebe und Ausgeglichenheit für die Kinder da sein zu können.

Du hast 48 Stunden kinderfrei. Was tust du?
Oh, wie herrlich. Ich schnappe mir einen lieben Menschen, fahre in eine schöne Stadt, am liebsten ans Meer (wobei: das ist in 48 Stunden wahrscheinlich zu kurz ). Schlafe aus, setze mich ins Café, gehe shoppen, mache Wellness, lass mich treiben. Ohne Termindruck und Stress. Gehe schön Essen und lass es mir einfach gut gehen.

Drei Lieblinge: Ein Buch, ein Film, ein Blog?
„Weit weg und ganz nah” von Jojo Moyes. Ist vielleicht nicht ihr bestes Buch, aber ich war beim Lesen sehr bewegt, da es meine eigene Lebenssituation sehr treffend beschrieb. Oh Happy Day, einer meiner absoluten Lieblingsblogs. Wahnsinn, mit wie viel Stilbewusstsein und Kreativität Jordan ihren Blog betreibt. Und: „Boyhood”, ein wunderschöner, berührender Film, den man mit seiner besten Freundin anschauen sollte.

Vielen herzlichen Dank, liebe Tanja. Alle anderen Mütterfragebögen sind hier nachzulesen.

UND WIE MACHST DU DAS, BERIT?


Name: Berit Walch
Alter: 36 
Mutter von: Nik und Jona 
Stadt: Ein kleines Örtchen bei München

Wie war es für dich, als du erfahren hast, dass du Zwillinge bekommst?
Ich kann mich an jede Sekunde dieser Situation erinnern. Ich sitze auf dem Behandlungsstuhl meiner Frauenärztin, die mit einem Ultraschallstab herumwurschtelt und betrachte den schwarz-weißen Bildschirm, auf dem ich eigentlich nie so richtig etwas erkenne, außer psychodelisch wabernde Flecken. Ich halte es für ein medizinisches Wunder, dass es einem menschlichen oder vielmehr ärztlichem Auge gelingt, auf diesen Dingern Nieren, Blasen und Magenwände auszumachen. Aber dann erkenne ich doch etwas. Zwei weiße Punkte. Moment mal. Hab ich Halluzinationen? Wieso zwei? Meine Frauenärztin, eine ältere, ebenso herzliche wie kurzsichtige Frau, die nicht wirklich die Souveränste im Umgang mit ihrem Ultraschallgerät ist, nestelt an ihren Instrumenten herum. Während ich immer noch Kopfrechenarbeit leiste, drückt sie permanent auf einen kleinen Knopf, von dem ich nicht die leiseste Ahnung habe, wofür er gut sein soll. Ich starre wie paralysiert auf den Bildschirm und frage: „Äh… Entschuldigung? Sind das da ZWEI Embryos???“ Sie runzelte die Stirn, rückt sich (eine gefühlte Ewigkeit) die Brille zurecht, heftet sich mit ihrer Nase vor den Bildschirm und nimmt mir die Sicht auf die zwei, nein halt, meine zwei Punkte. Am liebsten würde ich sie zur Seite schubsen. Dann höre ich einen Satz, der nach mehr als drei Jahren noch immer in meinen Ohren nachhallt: „Ach tatsächlich, das sind wirklich ZWEI!“ 

In diesem Moment prasseln Bilder aus der Zukunft über mich herein, als wäre die Glaskugel eines Wahrsagers zersprungen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich selbst Zwilling bin. Ich sehe mich mit zwei Babys auf dem Arm, sehe zwei Schultüten, vier kleine Schuhe auf dem Flur, zwei Geburtstagstorten auf dem Tisch. Ich werde von Wärme und Kälte zeitgleich durchflutet und lache und weine. Ich lache, weil ich als Zwilling weiß, dass es nichts Großartigeres auf der Welt gibt als eine Zwillingsschwester. Und ich weine, weil ich in diesem Moment das erste Mal in meinem Leben begreife, wie schwer es für meine Mama gewesen sein muss, uns beide groß zu ziehen. Eine Stunde und 100 weise Ratschläge meiner Ärztin später, taumele ich aus der Praxis, beseelt von dem Gefühl, ein unglaubliches Geheimnis in mir zu tragen, das nur ich und meine Frauenärztin kennen. Ich rufe meinen Mann an, um es mit ihm zu teilen. Das Glück strömt durch mich hindurch und Tränen über mein Gesicht, als ich sage: „Du wirst Doppel-Papa! Es sind Zwillinge!“

Wie kompliziert oder unkompliziert ist es, einen Kita-Platz für Zwillinge zu finden?
Meine Erfahrung: Für Großstadt-Mamis ist ein Kita-Platz mit Zwillingen ungefähr so realistisch, wie die Aussicht auf einen Morgen, an dem die beiden frisch geföhnt und selbstständig angezogen mit einem Frühstückstablett vor dem Bett stehen und fragen: „Mama, magst Du jetzt Croissant und Kaffee, oder nach dem Schaumbad, das wir gerade für dich eingelassen haben?“

Als wir damals noch in München wohnten, und ich gerade dabei war, meinen KITA-Triathlon oder besser den KITA-Iron-Man (ich klapperte mehr als 20 ab) zu bewältigen, hörte ich bei fast jeder Einrichtung folgenden Satz: „Zwillinge?! Da nehmen sie ja gleich zwei Plätze weg(!)“. Soviel dazu. Schlussendlich steckten mein Mann und ich unsere Kinder (und nahezu unser gesamtes Gehalt) in eine der teuersten KITAS Münchens, die – Überraschung – noch zwei Plätzchen auf ihren Yoga-Matten frei hatte. Als dann eines Tages unsere eineinhalbjährigen Kinder zur Oma statt „Gute Nacht“ „Good Night“ sagten, weil sie das in ihrem Englisch-Kurs in der KITA gelernt hatten, war das Maß voll. Wir flüchteten aufs Land. Unsere jetzige KITA, bei der wir sofort zwei Plätze bekamen, ist zwei Gehminuten von unserem Haus entfernt, kostet ein Viertel von dem, was wir vorher bezahlt hatten, und hat einen Garten, der so riesig ist, dass man Geo-Caching darin veranstalten kann. Ja, auf dem „Dorf“ ist die Welt einfach noch in Ordnung.

Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?
Folgende Worte einer Freundin haben mir das Leben gerettet: 
„Berit, wenn du in Teilzeit wieder anfängst – nimm dir den Freitag frei!“ Liebe Ute, wenn du das liest: Dein Rat war das wahrscheinlich Weiseste, das jemals ein Mensch zu mir gesagt hat. DANKE! Nur so funktioniert es für mich: Ich arbeite von Montag bis Donnerstag von 09:30 bis 15:00 Uhr. Mein Tag splittet sich also in zwei Hälften: Wahnsinn am Vormittag in der Firma (mit ein bisschen Chaos davor – Stichwort: Zwillings-KITA-Logistik) und Wahnsinn am Nachmittag zu Hause (mit ein bisschen Chaos danach – Stichwort: Zwillings-Bett-Logistik). Beide Hälften liebe ich heiß und innig. Abends falle ich wie ein Stein ins Bett und anschließend ins Koma, aus dem mich gegen 1:15 ein  
„MAAAAAAAAAAAAAAAAMA“ von Nik und um 2:30 ein  
„MAAAAAAAAAAAAAAAMA“ von Jona reißt. Und am nächsten Tag? Geht der Wahnsinn in zwei Hälften wieder von vorne los. Da ist der Freitag dann schlichtweg das Licht am Ende des Wochentunnels. Mein Mann behauptet in seiner unendlichen Dreistigkeit doch tatsächlich, ich hätte an diesem Tag „frei“. Das ist so natürlich keinesfalls richtig, denn das impliziert ja, ich hätte freitags so etwas wie Urlaub. Falsch. Ich habe freitags REHA! 

Wieviel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben? Reicht sie dir?
Hier meine Freizeitgestaltung knapp zusammengefasst: 
Montag bis Donnerstag 20:30 – 22:00 Uhr: Zeit für Hobbies (wie Schreiben/ Lesen/ Weißbier trinken), manchmal auch exakt in dieser Reihenfolge. 
Die weitere Stunde (um 23:00 Uhr falle ich ins Bett) kann man streng genommen nicht mitzählen, weil ich zu diesem Zeitpunkt bereits so müde bin, dass ich die Welt nur noch in Fragmenten wahrnehme (wobei dieser Zustand durchaus angenehm ist).

Einmal pro Woche 19:30 – 23:30: Mädels-Abend! 
Wir sind mittlerweile fast alle Mamis und zwingen uns mit viel Selbstdisziplin, diese Tradition aufrechtzuerhalten. 
Wenn wir unserem Schweinehund erstmal den Arschtritt verpasst haben (verzieh Dich, Töle, ich BRAUCHE ein Leben neben Windeln und Weichspüler!), in unserer Stamm-Kneipe sitzen und wie früher in einen Tratsch-Rausch verfallen, ist dieser Abend der schönste der Woche. Die Tatsache, dass das „Erwachen am Morgen“ grausam werden wird, können wir mit Enthusiasmus und viel Alkohol erfolgreich verdrängen. 

Einmal pro Woche FREI-Tags 8:00 – 15:00: Regeneration.
Ich genieße den Luxus, erst nach dem KITA-Gang zu duschen (und zwar exzessive 20 Minuten) und verbringe den Rest des Tages mit der wohl herrlichsten aller Freizeitbeschäftigungen einer Mutter: dem NICHTSTUN, dass ich nur bei ungeahnten Energieschüben mit Soft-Shoppen und einem Spaziergang kombiniere. 

Einmal pro Woche (je nach Absprache mit meinem Mann Samstag oder Sonntag) 23:00 – 09:30 verbringe ich meine Zeit mit der wohl zweitherrlichsten aller Freizeitbeschäftigungen einer Mutter: SCHLAFEN! 

Ob mir das reicht? Nein! Immer, wenn mir das bewusst wird, zähle ich die Tage, bis Nik und Jona endlich „groß“ sind, in die Schule gehen und ich wieder mehr Zeit für mich habe. Und immer wenn ich das denke, wird mir klar, dass ich JEDE SEKUNDE genießen, ja, aufsaugen muss, in der Nik und Jona „klein“ sind und mir meine Freizeit rauben. Denn letztlich sind es diese Momente, die mein Leben ausmachen: Wenn die zwei mich in den Wahnsinn treiben, weil sie ihre Schuhe verkehrt herum angezogen haben und darauf bestehen, so in die Stadt gehen zu wollen; mich mit einem „MAAAAAAAMA“ aus dem Schlaf reißen, weil ihr Kuscheltier verschollen ist oder sich Bauklötze auf den Kopf hauen, um zu überprüfen, wie das klingt. Meine Zwillinge sind die zeitraubendste, schönste Freizeitbeschäftigung, die ich mir vorstellen kann.  

Was empfindest du als besonders anstrengend?
Es sind die kleinen Momente, die das Dasein als Zwillings-Mami anstrengend machen. Zum Beispiel, wenn man seine Kinder an einer vielbefahrenen Straße aus dem Auto holen möchte. Für eine Mutter mit einem Kind ist das ein Handgriff, für eine Zwillingsmami Hochleistungs-Akrobatik. Hier eine kleine Turn-Anleitung: Man klemme das erste Kind, das man aus dem Auto gehoben hat, mit dem Kopf zwischen seine Schenkel, während man sich bereits dem Bandscheibenvorfall nahe, in das Fahrzeug beugt, um das zweite Kind abzuschnallen. Wuchte es dann neben den Zwillingsbruder (ohne den dabei versehentlich zu zerquetschen) und rufe den aufgebrachten Passanten, die gerade im Begriff sind, das Jugendamt einzuschalten zu: „Guckt nicht so doof, das gehört so!“ 

Was macht dich besonders glücklich?
Es macht mich glücklich, dass jeder Tag mit meinen Kindern wie eine Reise in meine eigene Kindheit ist. Sie erinnern mich daran, dass ein Kind immer reich ist. Wie wertvoll Tannenzapfen, Schneckenhäuser und Kronkorken sind. Sie erinnern mich daran, wie es ist, sich für kleine Dinge Zeit zu nehmen. Wenn man auf dem Weg zur KITA (die man eigentlich binnen zwei Minuten abgehetzt erreichen müsste, um noch rechtzeitig zum Frühstück zu erscheinen) ein Blümchen am Wegrand, ein Flugzeug am Himmel oder eine Kippe auf der Straße bewundert. Sie erinnern mich daran, dass es das größte aller Gefühle ist, wenn man etwas selbst geschafft hat; dass es natürlich ein Drama und keine Kleinigkeit ist, wenn eine Mama aus der KITA die kleine Pforte zum Gruppenraum aufgemacht hat, obwohl man das eigentlich selbst machen wollte. Sie erinnern mich daran, wie wichtig es ist, neugierig zu bleiben. Wie dringend man einen alten Schal inspizieren muss, der im Gebüsch hängt. 

„Mama, was ist das?“  
„Ein alter Schal.“  
„Wer hat ihn da hingeworfen?“  
„Keine Ahnung. Irgendjemand.“  
„Warum?“  
… 

Es macht mich jeden Tag glücklich, dass ich die Welt durch die Augen meiner Kinder sehe.


Auf dem amerikanischen Blog „Kveller - Life with Twins” schreibt Adina Kay-Gross: „Holy Crap! Twins?? That´s what we hear on a regular basis, usually as we walk around the neighborhood with our mammoth stroller loaded with our 4-month-old twin girls. We are a magnet for kind and curious comments from strangers. (...) The questions continue to come: „Twins?! Holy Crap. What´s that like, having two? And that´s usually followed by: „I cannot. Even. Imagine.” Hast du ähnliche oder ganz andere Erfahrungen als Zwillingsmama gemacht? 

Exakt dieselbe, nur das sich das in Bayern so anhört: 
„Ja do legst di nieda, zwoa glei? Naa, des kannt‘ i ned!“ 
(= „Ja, sowas, zwei gleich? Also ich könnte das nicht!“ )

Ich antworte dann immer, dass ich ja nicht wissen kann, wie es ist, nur ein Kind großzuziehen. So, wie ein Mensch, der ohne Beine geboren wird, auch nicht weiß, wie es ist, Füße zu haben. 

Welche Fragen werden dir andauernd gestellt – und wie beantwortest du sie? 
Es ist wirklich lustig, aber die häufigste Frage, wenn ich mit meinen beiden Kindern, die sich wie ein Ei dem anderen gleichen, durch die Straßen gondele, ist folgende: „Sind das Zwillinge???“ Ich antworte dann (wahlweise): „Nein, das ist das Kind unserer Nachbarn, das meinem verblüffender Weise zum Verwechseln ähnlich sieht.“ Oder eben schlichtweg: „Ja.“  

Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, das du vorher nicht wusstest?
Ich wusste nicht, wie schön es sich anfühlt, wenn deine Kinder bei dir auf der Brust liegen, in andächtiger Stille, weil du ihnen die Geschichte von Minimaus und dem Mond erzählst und du erst nach einer halben Stunde merkst, dass sie dir gar nicht zuhören, sondern schlafen. Ich wusste nicht, wie schön es klingt, wenn deine Kinder in schiefen Tönen und voller Inbrunst „Meine Oma fährt im Hühnerstall „Totorrad““ singen. Ich wusste nicht, wie gut die Haare deiner Kinder riechen, selbst wenn du sie zwei Wochen lang nicht gewaschen hast, weil Haarewaschen einem Nahkampf gleich kommt. Vor allem aber wusste ich nicht, was echte Angst bedeutet. Bevor ich Mutter wurde wusste ich nichts.

Gibt es wirklich eine besondere Bindung zwischen Zwillingen?
Oh ja, die gibt es. Ich weiß es spätestens seit folgendem, magischen Moment. Meine Zwillinge kamen viel zu früh, in der 29. Woche, als sogenannte „Extrem-Frühchen“ zur Welt. Jona wog 1.500 – sein Bruder 1.000 Gramm. Beide wurden nach der Geburt getrennt und in separaten Inkubatoren aufgepäppelt. Beim sogenannten „Känguruhen“, bei dem der Mutter das Kind auf die Brust gelegt wird, damit es die Wärme und den Herzschlag seiner Mama spüren kann, wechselte ich mich mit beiden ab. Vormittags känguruhte ich mit Nik, nachmittags mit seinem Bruder. Als es Jona eines Tages sehr schlecht ging, und seine Sättigungswerte immer weiter in den Keller rauschten, beschloss eine Krankenschwester, Nik dazu zu holen. Es war eine sehr aufwendige Prozedur, ihn aus dem anderen Zimmer mit all den Geräten und all den Schläuchen zu seinem Bruder auf meine Brust zu betten. Aber dann war es soweit. Nik sah Jona, mit dem er sich sieben Monate lang eine Bauch-WG geteilt hatte, nach zwei Wochen Trennung das erste Mal wieder. Erst drehte er sein Köpfchen und schien sich zu wundern. Dann umklammerte er mit seinem winzigen Arm seinen Bruder, als wolle er ihn begrüßen. Es war ein unbeschreiblicher Moment – für uns alle. In wenigen Minuten stabilisierte sich Jonas Sättigung und sein Herzschlag. Von diesem Tag an känguruhten wir nur noch zu dritt. 

Du hast in deiner Elternzeit ein Buch geschrieben. Wie kam es dazu und wie war das für dich?
Schon als kleines Mädchen liebte ich es, Geschichten zu schreiben. Ich schrieb über Kaulquappen und Baumhäuser, darüber, wie es wäre Forscherin zu sein, über Räuber, die sich im Park versteckten und Wassermänner, die in Flüssen lebten. Als ich dann als 10-Jährige einen Schreibwettbewerb gewann, der Bürgermeister mir die Hand schüttelte und ich staunend feststellte, dass sogar ein Fotograf ein Bild von mir wollte, beschloss ich, Schriftstellerin zu werden. Aber wie das mit Kindheitsträumen so ist – es sind eben Träume, und mit denen verdient man kein Geld. Ich wurde Journalistin beim Fernsehen. Immerhin, hier durfte ich schreiben. Ich schrieb mal Moderationstexte, mal Treatments. Ich schrieb Drehbücher und Konzepte. Letztlich aber schrieb ich Papier voll. Über das, was ich liebte, schrieb ich nicht. Vielleicht wäre das auch für immer so geblieben, wenn ich eben nicht Mama von zwei Frühchen geworden wäre. Diese beiden Winzlinge (die heute gar nicht mehr winzig sind, sondern 3-jährige propere Jungs) sorgten dafür, dass ich mich daran erinnerte, wer ich wirklich war, und was ich wirklich wollte. Als ich mit ihnen Stunden, Tage und Wochen in einem Klinikzimmer auf einem Klappstuhl verbrachte, stand meine Welt still. Als hätte jemand auf eine Bremse getreten. Das Leben, durch das ich bis dahin gehetzt war wie eine Getriebene, spielte sich in Slow-Motion ab. Es gab nur mich, den Stuhl, meine beiden Kinder auf meiner Brust – und meine Geschichten. Mal dachte ich sie leise, mal erzählte ich sie den Zwillingen in ihr Ohr. Sie waren unsere Begleiter in einer kleinen, surrealen Welt, einem Klinikraum der Neointensiv München. Als ich meine Zwillinge dann endlich – nach fast 3 Monaten Klinik – über die Türschwelle in unser Zuhause trug, war es, als hätte man mich aus einem Käfig entlassen. Ich war nicht mehr Stunden um Stunden an einen Stuhl gefesselt. Ich durfte meine Kinder aus ihrem Bettchen heben, ohne vorher eine Schwester zu fragen. Ich konnte sie auf dem Arm herumtragen, ohne sie vorher von Kabeln und Schläuchen zu befreien. Ich war frei. Meine Kinder waren frei. Und weil sie das Känguruhen nicht mehr brauchten, sondern in ihren Bettchen schliefen, hatte ich plötzlich unendlich viel Zeit. Und so begann ich nach Jahren wieder eine Geschichte zu schreiben. Eine lustige (schließlich hatte ich die Wochen zuvor genug Tränen vergossen). Ich schrieb über eine junge Frau, die in München lebt, und taufte sie Milla. Ich schrieb über Milla, die von ihrer großen Liebe Tim verlassen wird, und dadurch in ein riesiges Chaos schlittert. Ich schrieb „30 Tage nach Tim“, einen Roman, der am 8. April bei forever by Ullstein veröffentlicht wurde. Und wenn ich das Cover des Buches heute betrachte, dann weiß ich, dass das Schrecklichste, das dir im Leben passieren kann, manchmal das Beste in dir hervorbringt. 

Falls ihr diesen Fragebogen so gerne gelesen habt wie ich: Hier gibt es eine Leseprobe von „30 Tage nach Tim“ (Ullstein/ Forever). Alle anderen Mutterfragebögen sind hier nachzulesen.
Herzlichen Dank, liebe Berit.

UND WIE MACHST DU DAS, TINA?


Ein neuer Mutterfragebogen: Vor knapp vier Jahren ist Tina mit ihrer Familie von München nach Chattanooga in Tennessee gezogen, weil ihr Mann von seiner Firma für ein paar Jahre in die USA geschickt wurde. Ihre Tochter wurde in München geboren, ihr Sohn in den USA. Auf ihrem Blog schreibt Tina über ihr Leben in den USA.

Name: Tina Busch
Alter: 37 Jahre
Mutter von: einer 5-jährigen Tochter und einem 2-jährigen Sohn
Stadt: Chattanooga, Tennessee, USA

Wie ist bei dir die Kinderbetreuung organisiert?
Beide Kinder sind von Montag bis Freitag in der Day Care, bis circa 15 Uhr. Die Zeiten sind zum Glück ganz flexibel: Ich kann sie abholen, wann ich möchte, spätestens aber um 18 Uhr, sonst müsste ich Strafe zahlen. Geöffnet ist der Kindergarten täglich von 6 bis 18 Uhr. Meine Kinder sind meistens die letzten, die gebracht und die ersten, die abgeholt werden. Zusammen mit den anderen deutschen Kindern.

Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?

Spontan wollte ich schreiben, dass diese Frage nicht auf mich zutrifft. Ich arbeite ja – eigentlich – gar nicht. Zumindest wenn es darum geht, (regelmäßig) Geld zu verdienen. Da ich den Hauptteil meiner kinderfreien Zeit aber mit Bloggen verbringe, ist mein Blog irgendwie schon so etwas wie meine Arbeit (und mein Hobby!) – auch wenn ich damit kein Geld verdiene. Eine Finanzspritze geben mir Übersetzerjobs, die sich immer mal wieder ergeben. Ich arbeite, wenn meine Kinder im Kindergarten sind. Sechs Stunden pro Tag hört sich auf den ersten Blick viel an, ist es aber nicht. Die Wege hier sind weit und ich verbringe viel Zeit im Auto, um von A nach B zu kommen. Und damit ich ab 15 Uhr und am Wochenende wirklich voll und ganz für meine Kids da sein kann, mache ich in der kinderfreien Zeit auch den Haushalt, erledige Einkäufe, koche das Abendessen, halte mit Deutschland über Skype Kontakt und gehe zum Sport. Ist mal ein Kind krank oder hat der Kindergarten zu – so wie letzte Woche –, bleibt alles liegen. Eine Oma, die spontan einspringen kann, haben wir leider nicht vor Ort.

Wieviel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben? Reicht sie dir?
Ich kann mich nicht über zu wenig Zeit für mich beklagen. Wenn ich an meinem Blog bastele, ist das Zeit für mich, weil mir das richtig viel Spaß macht. Klar hätte ich gerne mehr Zeit für Sport, um zu Lesen oder etwas mit Freundinnen zu unternehmen, aber dann würde das Familienleben oder mein Blog darunter leiden und das will ich gerade nicht.

Wie sieht ein ganz normaler Wochentag bei dir aus?

Mein Mann weckt mich um kurz vor 7 mit einer Tasse Tee. Die trinke ich meistens noch im Bett, dann mache ich mich fertig und bereite das Frühstück vor. Sobald die Milch warm ist, wecke ich die Kids und wir frühstücken zusammen. Dann beginnt der tägliche „Zieh-dich-an-putz-dir-die-Zähne-aber-Mama-wir-wollen-noch-spielen“-Kampf. Kurz vor 9 fahren wir zum Kindergarten. Ab dann läuft die Zeit. Wenn möglich fahre ich direkt wieder nach Hause, verschließe die Augen vor dem Chaos in der Küche und setze mich an den Schreibtisch. Ich habe nämlich gelernt, dass ich vormittags am produktivsten und kreativsten bin. Zur Mittagszeit habe ich dann die Wahl: Aufräumen, Kochen, Einkaufen, Sport, Skypen. Dabei stehen Aufräumen und Kochen täglich auf dem Programm. Manchmal gehe ich danach nochmal zurück an den Schreibtisch, meistens lohnt sich das aber nicht mehr. Um 15 Uhr hole ich die Kids ab und wir fahren zu einem Playdate, oft mit deutschen Freunden. Dafür nehmen wir gerne 30 Minuten und mehr Fahrtzeit auf uns. Bei Kaffee und Cookies bequatschen wir Mütter unsere Zukunft, während unser Nachwuchs Prinzessin oder Pferd spielt. Um spätestens 18:30 Uhr sind wir zum Abendessen (das ich im Idealfall nur noch warm machen muss) wieder zu Hause. Dann kommt auch mein Mann nach Hause. Nach dem Essen ist noch Zeit zum Spielen, bevor wir um 20 Uhr die Kids ins Bett bringen. Es wird noch was vorgelesen, ein bisschen erzählt und dann machen wir das Licht aus. Ab 21 Uhr ist meistens Ruhe, ich kuschele mich in meine Sofaecke und lese noch Blogs, Zeitschriften oder ein Buch. Kurz nach 23 Uhr mache ich dann auch das Licht aus.

Was empfindest du als besonders anstrengend?
Über diese Frage habe ich lange nachgedacht. Es gibt bestimmte Tage, die kein Ende nehmen wollen, an denen alle schlecht gelaunt sind, Geduld ein Fremdwort ist und mein Mann spät von der Arbeit nach Hause kommt. Das finde ich immer wieder anstrengend, weil diese Tage so unvorhersehbar, die Probleme nicht greifbar sind und ich da einfach durch muss. Irgendwie.


Was macht dich besonders glücklich?

Das glucksende Lachen meiner Kinder, das ich letzte Woche nicht gehört habe, weil beide krank waren. Ihre feuchten Küsse und spontanen big hugs. Und natürlich ein unvorhergesehener früher Feierabend meines Mannes.

Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, das du vorher nicht wusstest?
Jedes Projekt, an dem ich vor der Geburt meiner Kinder gearbeitet habe, war peanuts im Vergleich zum Muttersein. Mutter bin ich immer. 24/7. Mittagspause, Feierabend, Wochenende, krank sein, Nachtruhe, in Ruhe nachdenken, Verantwortung abgeben, Fragen erst später beantworten, aufs Klo gehen, ohne dass jemand an die Tür hämmert – geht nicht. Trotzdem bin ich total gerne Mama! Und weiß, dass ich für jeden zukünftigen Job, jedes zukünftige Projekt gewappnet bin. Egal, was auch kommt, mich haut so schnell nichts mehr um.

Du hast 48 Stunden kinderfrei. Was tust du? 
Ich mache mit meinem Mann eine Städtereise und lebe einfach in den Tag hinein. Ohne regelmäßige Blicke auf die Uhr, Wickeltasche, Mittagsschlaf. Wir spazieren vom Coffee Shop zum Buchladen, vom Restaurant zur Boutique und wieder zurück und philosophieren über unsere Zukunft.

Wie sieht die Unterstützung von Familien in den USA im Vergleich zu Deutschland aus? 
Bildung kostet hier Geld. Und gute Betreuung bzw. Bildung kostet viel Geld. Dafür gibt es aber auch unzählige Betreuungsangebote, für alle Altersklassen, für jeden Geldbeutel, stunden- oder tageweise, Voll- oder Teilzeit. Einen Platz bekommt man eigentlich immer. Berufstätige Mütter können ihr Baby in vielen Einrichtungen bereits ab einem Alter von sechs Wochen abgeben. Und das müssen sie auch, denn sonst ist ihr Job weg. Elterngeld? Noch nie davon gehört. Elternzeit? Gibt es nur selten und wenn, dann ist sie auf wenige Wochen nach der Geburt begrenzt. Unbezahlt natürlich.


Wie haben sich die Kinder, wie habt ihr euch als Familie eingelebt? 
Wir leben jetzt seit fast vier Jahren in den USA. Mein Sohn ist hier geboren und kennt kein anderes Zuhause. Meine Tochter war bei unserem Umzug 1,5 Jahre alt und kennt Deutschland eigentlich nur noch aus kurzen Heimaturlauben. Hier ist unser Zuhause, hier fühlen wir uns wohl. Deutschland ist aber unsere Heimat, und das vermitteln wir den Kindern auch. Das Einleben an sich war für uns kein Problem. Mein Mann und ich wussten durch zahlreiche USA-Aufenthalte, was auf uns zukommt, und wir haben uns sehr auf die Chance gefreut, als Familie im Ausland zu leben. Bislang haben wir es keinen Tag bereut – außer als Deutschland Weltmeister geworden ist! Da wäre ich gerne in der Heimat gewesen.

Würdest du wieder ins Ausland gehen?
Ja, aber nicht in jedes x-beliebige Land und nur für mehrere Jahre, damit man auch wirklich eine Chance hat, sich richtig einzuleben.

Aus der Ferne wirkt die Heimat oft ganz anders. Was vermisst du, was nicht?
Diese Frage stelle ich meinen Interviewpartnern auch und ich finde es immer wieder interessant, wie sich die Antworten ähneln. Persönlich vermisse ich die abendlichen Telefonate mit meinen Freundinnen, die Möglichkeit, die Großeltern kurzfristig um Hilfe bitten zu können, und Feiern, zu denen die ganze Familie zusammen kommt. Kulinarisch gesehen würde ich gerne mal wieder einen Dickmann essen und beim Bäcker ein dickes Stück Sahnetorte verdrücken. Was ich nicht vermisse: unfreundliche Kassierer an der Supermarktkasse, den typisch deutschen Pessimismus, das Wetter und Familienfeiern. Und zwar die, auf die man gehen muss, aber nicht will.

Woran musstet ihr euch erst gewöhnen?
An manche Dinge habe ich mich immer noch nicht gewöhnt: Zum Beispiel daran, dass hier jeder eine Waffe hat. Vielleicht nicht unbedingt gerade bei sich, aber auf jeden Fall zu Hause. Das macht mir immer noch Angst. Und wenn im Frühling wieder die Tornado-Saison beginnt, wird’s mir Jahr für Jahr mulmig. Ich kann die Situation jetzt zwar besser einschätzen, kenne zum Beispiel den Unterschied zwischen Watch (die Entstehung eines Tornados ist möglich) und Warning (ein Tornado wurde gesichtet), hoffe aber natürlich, dass wir unser Gäste-Bad – der einzige innenliegende Raum ohne Fenster – nicht zum Schutzraum umfunktionieren müssen.

Gehen Amerikaner anders mit Kindern um als Deutsche – oder kann man das überhaupt nicht verallgemeinern?
Ich glaube schon, obwohl mir der Vergleich fehlt, da ich nur 1,5 Jahre mit Kind in Deutschland gelebt habe. Hier sind Kinder auf jeden Fall immer und überall willkommen. In Restaurants gibt es zum Beispiel immer ein Kinder-Menü, Stifte oder anderes Spielzeug zum Zeitvertreib und ausreichend Hochstühle und booster seats.

Was sind die größten Kindervergnügen in Chattanooga?
Das Wetter! Von April bis Oktober findet das Leben draußen statt, im Planschbecken, im Garten, am Pool oder See. Und der Grill läuft auf Hochtouren. Darüber hinaus hat Chattanooga für Kinder eine Menge zu bieten: das Creative Discovery Museum, das Tennessee Aquarium, den Chattanooga Zoo und viele Seen, Wanderwege und Wasserfälle in nächster Nähe.

Plant ihr eine Rückkehr?
Unsere Rückkehr nach Deutschland ist für Sommer 2016 geplant, pünktlich zur Einschulung unserer Tochter. Ob’s wirklich so kommt, kann aber keiner sagen.

Herzlichen Dank für Deine Antworten, liebe Tina. Mehr Mütterfragebögen sind hier nachzulesen.

Fotos: Tina & Jack Fussell at www.flyinghousestudio.com or www.travelingmama.net

UND WIE MACHST DU DAS, MAREICE?




Ein neuer Mutterfragebogen: Mareice, eine Autorin und Mutter von zwei Mädchen, die in Berlin lebt und das Blog Kaiserinnenreich schreibt.

Name: Mareice
Alter: 32 Jahre
Mutter von: zwei Mädchen (3 und 1,5 Jahre alt)
Stadt: Berlin (Hamburg im Herzen)

Wie ist bei dir die Kinderbetreuung organisiert?

Mittlerweile: gut. Bis hierhin war es ein langer, nervenzehrender Weg. Meine heute dreijährige Tochter kam mit einem seltenen Chromosomenfehler und dadurch mehrfach behindert zur Welt. Ihre ersten Lebensmonate verbrachten mein Mann und ich mit ihr in diversen Krankenhäusern, das Babybett zu Hause blieb lange Zeit leer. Dann haben wir erstmal alles selbst gemacht, Intensivpflege rund um die Uhr. Bis wir nicht mehr konnten. Es hat uns viel Zeit und Kraft gekostet, eine Infrastruktur rund um sie und uns herum aufzubauen, die es zulässt, dass wir Eltern ein klitzekleines bisschen Freizeit haben und/oder arbeiten können. Mittlerweile funktioniert das ganz gut – allerdings immer nur, solange unsere Tochter gesundheitlich stabil ist. Ein Pflegedienst betreut sie in der Nacht und eine Krankenschwester begleitet sie tagsüber in die Kita. Das bedeutet, dass nachts immer jemand an ihrem Bett sitzt. Während sie schläft, wird der Sauerstoffgehalt in ihrem Blut von einem Monitor überwacht und wenn der piepst, benötigt sie zusätzlichen Sauerstoff. Das übernehmen dann die Krankenschwestern – nachts zu Hause und tagsüber in der Kita. So können wir nach zwei Jahren ohne Tag-Nacht-Rhythmus endlich wieder schlafen. Allerdings hat die Krankenkasse die Kostenübernahme für den Pflegedienst noch nicht bewilligt. Solche Stolpersteine sind belastender als alle Behinderungen meiner Tochter zusammen.

Die Betreuung unserer kleinen Tochter zu organisieren war im Vergleich dazu ein Kinderspiel. Sie geht seit ihrem ersten Geburtstag in die gleiche Kita wie ihre große Schwester, hat eine blitzschnelle Eingewöhnung hingelegt und freut sich jeden Tag, wenn es zusammen mit ihrer Schwester losgeht zur Kita – genauso freut sie sich, wenn wir sie nachmittags wieder abholen. Zusätzlich haben wir eine Einzelfallhelferin für unsere große Tochter, die mittlerweile seit einem Jahr mindestens einen Nachmittag pro Woche mit ihr verbringt. Sie ist uns allen sehr ans Herz gewachsen und schafft Flexibilität für meine Arbeit, da sie manchmal auch mit beiden Mädchen spielt. Sie ist zu einem Teil der Familie geworden.


Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?
Vor meinen Kindern habe ich als Redakteurin hauptsächlich für Werbeagenturen gearbeitet. Nach meiner langen Elternzeit, die aus der Pflegebedürftigkeit meiner ersten Tochter resultierte, versuche ich gerade wieder beruflich Fuß zu fassen. Erster Schritt zurück ins Berufsleben ist mein Blog Kaiserinnenreich, auf dem ich seit etwa einem halben Jahr über unser inklusives Familienleben und dadurch verbundene gesellschaftspolitische Stolpersteine schreibe. Durch das Bloggen bin ich wieder zum Schreiben gekommen – die vergangenen Jahre drehte sich ja alles um Kinder, Kacke und Krankenhäuser. Ich bin dankbar über die Schreib-Routine, die sich ganz langsam wieder einstellt. Über mein Blog haben sich schon tolle Möglichkeiten ergeben, so wurde ich bereits zu Diskussionsrunden zum Thema Inklusion eingeladen, schrieb Artikel für diverse Publikationen, arbeite zur Zeit an einem Workshop für Jugendliche und bekomme auch einfach so zwischendurch positives Feedback von Leserinnen und Lesern. Nach der langen abgeschotteten Familienzeit, in der es oft nur um Krankheiten, Defizite und Bürokratie ging, tut das unheimlich gut. Es fühlt sich an, wie von einer Reise zurückzukehren – einer Reise ins All oder so. Finanzieren kann ich mich im Moment aber leider noch nicht allein durch das Schreiben, daher versuche ich mich zur Zeit auch in der Akquise für redaktionelle Jobs in unterschiedlichen sinnhaften Bereichen. Leider habe ich es als zweifache Mutter nicht mehr so leicht wie früher als kinderlose Frau, zu Vorstellungsgesprächen eingeladen zu werden. Das ist ziemlich ernüchternd, zumal ich durch meine Kinder so viele Kompetenzen dazu gewonnen habe. Dank der Kita-Betreuung habe ich täglich von 9.30 bis 15.30 Uhr Freiraum, mich dem journalistischen Schreiben zu widmen. Ich genieße diese Zeit sehr und bin vor allem meiner großen Tochter dankbar, dass ihr Gesundheitszustand es nun schon seit Wochen zulässt, dass sie glückliche Tage mit den anderen Kindern gut betreut verbringen kann. Arbeit fühlt sich für mich wie Wellness an.


Wieviel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben? 

Reicht sie dir?

Jenseits der beruflichen und familiären Aufgaben hatte ich in den vergangenen 1,5 Jahren einen einzigen Abend für mich. Ich habe ihn genutzt, um mit meinem Mann zu einem Konzert zu gehen. Das war herrlich – hat uns aber auch vor Augen geführt, wie verrückt es ist, dass so ein Abend so eine außerordentliche Ausnahme für uns ist. Zum besseren Verständnis: Vor unseren Kindern waren wir beide äußerst aktive Kulturschaffende. Wir produzierten gemeinsam eine Radiosendung, machten in Bands Musik, besuchten Ausstellungen von Freunden und waren eigentlich immer kreativ und produktiv unterwegs. Mit der Geburt unserer behinderten Tochter fiel diese Seite unserer Persönlichkeiten komplett unter den Tisch. Wir sind gerade dabei, uns diese kleinen – und für uns lebenswichtigen – Freiheiten peu à peu zurückzuerobern. 





Wie sieht ein ganz normaler Wochentag bei dir aus?

Um sieben Uhr schreibe ich der Krankenschwester, die meine große Tochter in der Nacht betreut hat, eine Nachricht bei WhatsApp: „Alles okay?“. Im besten Fall war es das und ich höre, wie sie kurze Zeit später die Wohnung verlässt. Dann haben wir eine Stunde Familienzeit, bis die Krankenschwester, die meine große Tochter in die Kita begleitet, kommt. Zwischen neun und halb zehn sitze ich in einem Journalistenbüro und arbeite – dabei geht leider noch immer viel Zeit für die Bürokratie rund um meine große Tochter drauf. Um halb vier hole ich im Wechsel mit meinem Mann und der Einzelfallhelferin die Kinder von der Kita ab. Spielplatz, Logopädie oder Physiotherapie für die große Tochter, Verabredungen mit anderen Familien, Einkäufe. Und immer sehr, sehr viel: Wäsche waschen, Wäsche aufhängen, Wäsche einräumen. Ganz wichtig ist uns das gemeinsame Abendessen um 18 Uhr, da sind wir echte Spießer. Vor allem, seitdem wir festgestellt haben, wie wichtig diese feste Zeit für unsere kleine Tochter ist. Halten wir uns an diesen Plan, schläft sie verlässlich gegen 19.30 Uhr ein. Wenn sie schläft, genieße ich die Zeit mit meiner großen Tochter, bis der Nachtdienst um 21 Uhr kommt. Meistens bin ich dann auch schon so müde, dass ich selbst ins Bett falle...


Was empfindest du als besonders anstrengend?
Die Beurteilungen von außen. Mir kommt es vor, als würde alles, was Eltern mit ihren Kindern machen, erstmal von einer Gesellschaftspolizei bewertet werden. Das fängt beim Stillen/Nicht-Stillen an und hört beim Essverhalten der Kinder auf – na ja, also ehrlich gesagt hört es gar nicht auf. Ich wünsche mir, dass meine Kinder einfach so gelassen werden können, wie sie sind. Außerdem empfinde ich die Bürokratie rund um meine behinderte Tochter als kräfteraubend und vor allem: unnötig. Die Streitigkeiten mit der Krankenkasse um Hilfsmittel empfinde ich als echtes Armutszeugnis für die Gesellschaft, in der wir leben. Warum beeinträchtigte Menschen so sehr um Unterstützung kämpfen müssen, werde ich nie verstehen. 


Was macht dich besonders glücklich?

Geistige Entwicklung und (Weiter-)Bildung. Wenn ich singe und meine kleine Tochter dazu tanzt. Dass meine große Tochter seit der letzten Operation von alleine Stuhlgang haben kann und Schmerzen nicht mehr zu ihrem Alltag gehören. Dass das Krankenhaus eine immer kleiner werdende Rolle in unserem Familienleben einnimmt. Wertschätzung meiner Arbeit.


Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft, die Politik, Menschen mit Kindern ausreichend unterstützt? Was müsste deiner Meinung nach besser werden?

Puh, nein, das Gefühl habe ich ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Verbessern müsste sich eine Grundeinstellung der Gesellschaft. Wenn ich mit meinen Kindern unterwegs bin, habe ich oft den Eindruck, dass die Menschen, denen wir begegnen, vergessen haben, dass sie auch mal Kinder waren. Uns begegnen mehr mürrische als freundliche Gesichter. Das finde ich schade. Wenn das Kind in uns allen präsenter wäre, wären auch Politik und damit die Gesellschaft kinderfreundlicher. Ähnlich ist es, was die Unterstützung von Menschen mit Behinderung angeht. Bei Kämpfen mit der Krankenkasse habe ich schon oft gedacht, dass die Sachbearbeiter/innen dort mal meine Tochter kennenlernen sollten. Dann würden sie nicht so viele bescheuerte Entscheidungen treffen, die uns als Familie und vor allem meiner Tochter das Leben erschweren. Ein Punkt, bei dem ich mir von der Inklusionsdebatte einiges erhoffe, ist die Barrierefreiheit. Wer sich mit dem Kinderwagen durch die Welt bewegt, bekommt eine klitzekleine Ahnung davon, was es heißt, mit einem Rollstuhl unterwegs zu sein. 


Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, das du vorher nicht wusstest? 
Wie sehr ich mich auf meine Sinne verlassen kann. Wie effektiv und fokussiert ich arbeiten kann. Wie nah Leben und Tod beieinander liegen. Wie sich bedingungslose Liebe anfühlt. Dass es kein Recht auf ein gesundes Kind gibt. Dass mein Perfektionismus unnötiger Quatsch ist. Dass ich gut bin, wie ich bin. Dass einfach SEIN lebenswert ist. Das hat mir meine taubblinde Tochter gezeigt und ich bewundere sie für alles, was sie ist und ausstrahlt.


Du hast 48 Stunden kinderfrei. Was tust du? 
Die Möglichkeit ist für mich – noch – zu weit weg, als dass ich es wirklich wüsste. Schön wäre eine kleine Reise. Oder Shopping (allerdings nur mit Geld in der Tasche und unter der Bedingung, keine Kinderläden zu betreten – denn dort landen wir Mamas ja meist zwangsläufig). Kaffeetrinken mit einer Freundin, ein gutes Gespräch oder noch besser: Wodka Lemon. Ausgehen, tanzen, wenn die Vögel zwitschern ins Bett fallen, ausschlafen, langes Frühstück, wieder ins Bett gehen. Lesen. Schreiben. Küssen.

Ein Gegenstand Deiner Kinder, den du ewig aufbewahren wirst? 
Die Bilder von ihnen in meinem Kopf. Den großen Schmerz, als ich meine erste Tochter nicht bei mir haben konnte direkt nach ihrer Geburt. Das große Glück, meine zweite Tochter nach ihrer Geburt stundenlang nicht loslassen zu müssen, ihr Geruch. Nicht ewig, aber lange: Die erste selbstständig vollgekackte Windel meiner ersten Tochter. Klingt eklig, war für uns alle aber ein Befreiungsschlag.

Ein Gegenstand, der Dich an Deine Kindheit erinnert?
Leider gibt es nur ein unvollständig geführtes Fotoalbum von mir als Kind. Das bedauere ich sehr. Ich wünsche mir, dass ich das für meine Töchter anders machen kann und fotografiere fleißig, habe schon hübsche Alben in der Schublade und bin gerade dabei, Ordnung in das digitale Chaos zu bringen. Die ersten ausgedruckten Bilder liegen auch schon bereit... Jetzt weiß ich also doch, wozu ich die 48 Stunden kinderfrei nutze: Zum Erstellen von Fotoalben meiner Töchter. Ha!

Was würdest du einer Frau sagen, die sich fragt, ob sie Mutter werden soll? 
Ich empfehle ihr den Text "Willkommen in der Bastelmuttihölle" von der großartigen Bloggerin Das Nuf zu lesen.

Hier ist noch ein sehr lesenwerter Text von Mareice über die Suche nach einem Kitaplatz für ihre erste Tochter aus der taz. Und auf ihrem Blog Kaiserinnenreich startet sie in den nächsten Tagen auch ihre eigene Version des Mutterfragebogens.

Illustration von Daniela Paß, Foto von Anna Rozkosny & Kathrin Harms.

Schönes Wochenende. Und danke, liebe Mareice.

UND WIE MACHST DU DAS, ULMA? EIN MUTTERFRAGEBOGEN


Wie gerne ich Ulma und ihr Blog "Mme. Ulma" mag. Deshalb freue ich mich heute sehr, dass sie sich die Zeit genommen hat, meinen Mutterfragebogen auszufüllen. Danke dafür!

Name: Ulrike
Alter: 36
Mutter von: Jana (16) und Emil (2 1/2)
Stadt: Graz, Österreich

Wie ist bei dir die Kinderbetreuung organisiert?
Fernab lebend von aller Verwandtschaft und damit jenen Menschen, die mit einer gewissen Selbstverständlichkeit als Unterstützer/innen mit Blick auf die Kinderbetreuung auftreten könnten, bin ich froh-dankbar, dass Emil seine Vormittage schon seit letztem Herbst in einer Kinderkrippe gleich hier um die Ecke verbringen darf; mehr noch, zumal es sich um die für uns allerbeste denkbare Krippe überhaupt handelt. So einverstanden bin ich mit dem pädagogischen Konzept; so sympathisch sind mir die Menschen, in deren Hände ich mein freudestrahlendes Kind Morgen für Morgen gebe. Zufrieden bin ich, oh ja, viel mehr als das.

Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?
Ich habe das große Glück, für mich einen Weg aus der klassischen Erwerbstätigkeit heraus in einen sehr freien Raum des Arbeitens gefunden zu haben. So habe ich mir ein Potpourri an mir Freude bringenden Tätigkeiten zusammengebastelt, die mir darüber hinaus das ermöglichen, was mir in beruflicher Hinsicht das Wichtigste ist: Selbstbestimmung. Einerseits bin ich im Network-Marketing für ein österreichisches Bio-Unternehmen tätig, dessen umfassend nachhaltige Philosophie und geniale Produkte mich einfach begeistern und die in die Welt zu tragen sich so richtig anfühlt. Diese Sache ist mir wie ein völlig unerwartetes Geschenk zugefallen, ohne dass ich bewusst danach gesucht hätte (und beinahe hätte die Skeptikerin in mir es nicht als solches erkannt); mittlerweile hat sie sich zu meinem wichtigsten Standbein entwickelt, das es mir ermöglicht, mit meinem Spielbein nach Lust und Laune durch die Luft zu wirbeln. Und so kann ich – andererseits – ohne den Druck des Davon-leben-können-Müssens meiner künstlerischen Arbeit nachgehen; die umfasst in erster Linie eigene Projekte und Auftragsarbeiten vorwiegend im illustratorischen Bereich. Getragen von dieser Freiheit ist auch meine dritte berufliche Tätigkeit als Yogalehrerin. Wie viele Kurse ich anbiete, richtet sich allein nach dem Prinzip des guten Bauchgefühls. So bleibt auch genügend Zeit für all die anderen Dinge, die mir wichtig sind, ohne jeden Zusammenhang mit der Lebensunterhaltbestreiterei. Nicht nur nebenher, sondern als fundierende Süße des Alltags, die diesen reich und wertvoll macht für mich; welch wundervolles Privileg! Und es fühlt sich ganz formidabel an.

Wieviel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben? 
Reicht sie dir?
Ich empfinde es für meinen Fall als sehr schwierig, diese Bereiche voneinander zu trennen und ihnen quantitativ klar umrissene Zeitsegmente zuzuordnen. So sehr ich mich immer wieder herausgefordert fühle, eine Außenwahrnehmung, die dem froh machenden Tun den Nimbus des Hobbyhaften überstülpen möchte, aus ihrem sozialisierten Konformismus herauszuhalten, so leicht tappe ich in dieselbe Falle und rede meine Arbeit allzu unbedacht klein. Aber da meine Familie auch ich selbst bin und ich – beruflich – das, was ich mache, einfach gerne mache und es auch machen würde, wenn ich damit nichts verdienen würde, lässt sich eine "Zeit für mich" abseits all dessen nur schwer definieren. Was aber immer zu kurz zu kommen droht, das ist die Ruhe, die Entspannung, das Dolcefarniente. Da habe ich noch einiges zu lernen, denn die Zeit ist da, nur das mit dem Sie-immer-wieder-einmal-auch-dafür-Verwenden will nicht so recht gelingen.

Wie sieht ein ganz normaler Wochentag bei dir aus?
Die Tage sind so unterschiedlich und es ist genau dieser Spielraum, den ich so sehr an ihnen genieße, der mich so frohgemut stimmt. Wollte ich eine fundierende Grundstruktur aus ihnen herausschälen, so sähe sie wohl in etwa so aus:

Morgens wecken mich die nachtkalten Füßchen meines Sohnes, die sich unter meine Bettdecke graben, und langsam beginnen wir den Tag, horchen noch ein wenig in die Stille hinein. Mein Freund und meine Tochter sind schon aus dem Haus, wenn wir aufstehen und die Ruhe mit einem Mal verscheucht ist durch ein wild herumsausendes, allerlei Spielsachen herumwirbelndes, mit dem Laufrad Wohnungsrunden drehendes, Wasser durch die Gegend spritzendes und zur Frühstücksschaufelei abenteuerliche Geschichten erfindendes Energiebündelchen. Ich bemühe mich, dass wir bis spätestens neun auf dem Weg zur Kinderkrippe sind. Wenn keine "Businessmeetings" anstehen, wie das so hochtrabend heißt, ist jetzt Zeit für Bewegung: Laufen oder Yoga. Danach ist meine ritualisierte Vormittagstasse Milchkaffee an der Reihe; in der Regel am Computer – auf dem Bildschirm Mails, Blogs, Internetwichtigkeiten überhaupt. Hineingeflochten sind meist irgendwelche Werklereien oder Projekte, an denen ich gerade arbeite.

Zu Mittag hole ich den kleinen Herrn aus der Krippe und es beginnt das übliche Kinderprogramm. Wenn wir Glück haben, sind Papa und Schwester auch mit von der Partie; und manchmal lässt sich auch ein wenig arbeiten nebenher, zumindest am Telefon. Kochen und gemeinsames Abendessen – das ist einer der wenigen sehr konstanten Fixpunkte im Alltagsgeschehen. Und nach dem Zubettbringen von Emil noch lange arbeiten in dieser oder jener Form, vielleicht besser: einfach tun, zeichnen, lesen, nähen, schreiben, recherchieren, nähen, Gedanken spinnen, das auch.

Und wenn uns danach ist, dann machen wir´s ganz anders.

Hast du dir das Muttersein so vorgestellt, wie es ist? Was hast du dir anders vorgestellt?
Ich bin jetzt schon 16 Jahre lang Mutter; um ehrlich zu sein: Ich kann mich nicht wirklich daran erinnern, was ich mir zuvor darunter vorgestellt habe. Vermutlich ist es schwierig, sich vorab insbesondere von belastenden, an die eigenen Grenzen heranführenden Situationen ein realistisches Bild zu zeichnen. Zum Glück vermisst man die aber auch danach ganz schnell wieder. Wenngleich: Ich bin von Emils erstem Lebensjahr, das er, unzufrieden mit der Welt an sich, wie ich mittlerweile vermute, in erster Linie im Brüllmodus verbracht hat, – drastisch formuliert – etwas traumatisiert. Höre ich ein Baby neben mir schreien, ist mein allererster Reflex unvermeidlich ein Oh-nein-bitte-nicht-schon-wieder-Zusammenzucken. Für jene Zeit kann ich mit Gewissheit sagen, dass ich, mein Freund und Jana uns das Zu-viert-Sein so nicht vorgestellt haben, sondern deutlich ruhiger und entspannter. Jetzt ist es das; und ich weiß es sehr, sehr zu schätzen. Auch Mama von meinem großen Mädchen zu sein, macht mir unheimlich viel Freude. Ich denke, da ist schon ein ganzes Stück von einem emotionalen Ideal, das man sich gedanklich früh zusammenschustert, Wirklichkeit.

Muss ich jetzt mal anführen, dass freilich nicht immer alles eitel Wonne ist? Klar. Aber ich bin eine entschlossene Verfechterin der ganz bewussten Wertschätzung dessen, was gut ist. So einfach ist das.

Was empfindest du als besonders anstrengend?
Unausgeschlafenheit – sowohl auf der einen Seite als auch auf der anderen; die Kombination ist die Krönung des Unlustigen.

Was macht dich besonders glücklich?
Meine Kinder an sich; ihr So-Sein; ihre Verrücktheit; ihre Umarmungen; Emils so wundervolles "Ich lieb´ dich so gern".

Welches Verhältnis hast du zum Vater deiner Kinder? Wie haben die Kinder dieses Verhältnis verändert?
Ach, ich liebe den und manchmal könnte ich ihn zum Mond schießen; zweiteres seltener, wenn die – insbesondere eltern- und haushaltsspezifischen – Verantwortlichkeiten gut ausverhandelt sind, häufiger, wenn sich da ein Ungleichgewicht einschleicht (sonderbarerweise tut es das immer nur zu meinen Ungunsten…). Wir brauchen beide sehr viel Freiheit. Da haben Verpflichtungen, von denen es mit Kindern naturgemäß mehr gibt als ohne, oft Konflikte im Schlepptau; andererseits bringen solche Bedürfnisüberschneidungen auch viel gegenseitiges Verstehen. Und auch: Hätten uns unsere Kinder nicht diese feinen Seidenfäden angelegt, die uns mit dem Boden verbinden, würden wir vermutlich beide nur irgendwo herumschwirren, er da, ich dort. Wie gut, dass alles so ist, wie es ist.

Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft, die Politik, Menschen mit Kindern ausreichend unterstützt? Was müsste deiner Meinung nach besser werden?
Ein weites, weites Feld. Ich sehe zum Beispiel rundherum, dass es nicht selbstverständlich ist, einen Krippenplatz zu haben; und wenn, dann allzu oft in Einrichtungen, die mit den eigenen Vorstellungen so gar nicht zusammengehen wollen. Das erfordert von den Eltern (von den Kindern zum Glück seltener, die sind da zu einem Gutteil scheinbar recht anpassungsfähig) viel Kompromissbereitschaft am völlig falschen Ort.

Das Grundproblem aber sehe ich in einem System, das per se sehr unterschiedliche Erfordernisse mit sich bringende Dinge unter einen Hut bringen will: Die angesichts der babylonisch wuchernden Wohnungspreise, der bizarr hohen Betreuungsplatzkosten usf. zunehmende Notwendigkeit zweier vollverdienender – und das bedeutet in der Regel einen Gutteil ihres Tages mit ihrer Erwerbstätigkeit beschäftigter – Eltern, das heißt, Menschen, die Kinder zur Welt gebracht haben, um ihr Leben mit ihnen zu teilen; ihr Leben, also ihre Zeit! Kurz morgens, kurz abends, Samstag, Sonntag, Feiertag, ein paar Wochen Urlaub im Jahr? Das ist alles, was einem an Lebenszeit mit den Liebsten zugestanden wird? (Ganz abgesehen davon, dass auch das, was man außerdem liebt und wichtig findet, Hobbys ganz banal gesprochen, irgendwo unterkommen sollte. Ihr lieben Alleinerziehenden, ihr seid unglaublich und verdient allen denkbaren Respekt, von dem man nur leider auch nicht leben kann, was schön langsam auch einmal ins Bewusstsein der Geldverteiler(innen) vordringen sollte.)

(Und noch eine Klammer (in Klammern stehen nämlich immer die wirklich wichtigen Sachen): Dass ich genau das nicht möchte, nämlich so so viel Zeit mit der Arbeit verbringen zu müssen, noch dazu genau dann, wenn irgendjemand es mir vorgibt, das ist auch einer der ganz wichtigen Gründe, warum ich so viel von diesem von Freiheit durchwirkten Konzept des Arbeitens halte, das mich da gefunden hat.)

So lange an einem System festzuhalten wird, in dem den Menschen, die, allzu oft ohne mit der Wimper zu zucken, als seine Stützen fungieren, abverlangt wird, dass sie den Großteil ihrer Tageszeit, die sie im Wachzustand verbringen, arbeiten, damit sie ihren Unterhalt bestreiten (bestreiten! – welch genussvolle Vorstellung allein das schon!) können, bleiben alle so genannten "Bemühungen" um die viel gepriesene "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" oder die "Steigerung der Frauenerwerbsquote" euphemistische Augenwischerei. (Das gehörte dann freilich auch in Klammern gesetzt.)

Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, das du vorher nicht wusstest?
Wie bedingungslos man lieben kann.

Du hast 48 Stunden kinderfrei. Was tust du?
Luftschlossmäßig: In der Wiese liegen und die Wolken ziehen lassen. Realistischerweise: Dinge erledigen, zu denen ich sonst nicht komme. (Da gibt´s in der Gestaltung noch einiges an Verbesserungspotenzial, ich gestehe.)

Was würdest du einer Frau sagen, die sich fragt, ob sie Mutter werden soll?
Ich finde die Idee so amüsant, dass jemand mir eine solche Fragen stellen könnte! Vermutlich würde ich ziemlich lachen in Anbetracht solcher Skurrilität. Und die Antwort könnte nur eine mäeutische sein, denke ich. Wahrscheinlich: "Was wünschst du dir vom Leben?".

Alle anderen Mutterfragebögen sind hier nachzulesen.
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