POST VON EMILY


Gestern war ein Brief für mich in der Post, von einer gewissen Emily Rapp aus Santa Fe, ein drei Seiten langer Brief übers Briefeschreiben.

"I´m all about the direct address, which is why I love writing love letters, why I´m writing one, now, in book form, to my son, who is dying. But I think I´ll start writing a love letter every day to someone, just to see what comes back."

Ein Brief einer Frau, von der ich bis gestern nie etwas gehört, gelesen, gewusst hatte, einer Frau, die einen Brief an ihr sterbendes Kind schreibt und die darüber nachdenkt, jeden Tag einen Liebesbrief an jemanden zu schreiben, denn

"yes, maybe letters are the answer". 

Warum das alles? Weil der Mann für mich die "Letters In The Mail" abonniert hat - echte, in Kuverts gesteckte, ordnungsgemäß frankierte, bei einem Postamt in San Francisco aufgegebene Briefe, die von Stephen Elliott verschickt werden, dem Herausgeber des von ihm innig geliebten Online-Literaturmagazins "The Rumpus". Ein Jahr lang werde ich jetzt Briefe von Absendern bekommen, die ich bewundere, Dave Eggers zum Beispiel oder Rick Moody, und von Absendern, die ich nicht kenne, Schriftsteller, Schauspieler, Filmemacher, fast jede Woche einen. Über den Briefen steht ihre Adresse, falls man einen Brief zurückschreiben will.

Natürlich ginge das alles auch im Internet, als Mail, als Newsletter, auf einer Website. Niemand müsste Texte erst ausdrucken, das Papier falten, in Kuverts füllen und dann zur Post gehen. Aber es wäre nicht dasselbe, oder? Man könnte es nicht aufmachen, aus dem Umschlag ziehen, es stünde nicht die eigene Adresse drauf, es gäbe keinen Stempel aus San Francisco, man könnte nicht umblättern und das Papier glatt streichen. Es wäre auch nicht derselbe Text, glaube ich. Wer weiß, dass er einen Brief schreibt, der schreibt einen Brief. Keine Email, keinen Text wie sonst, selbst wenn er nicht weiß, wer ihn erhalten wird. Und wie viele ihn erhalten werden. Vor einigen Monaten stand in der "New York Times", dass "Letters In The Mail" schon 1800 Abonnenten hat, mittlerweile werden noch viele dazu gekommen sein: In San Francisco, das weiß ich jetzt, gibt es jemanden, der fast jede Woche über 1800 Briefe faltet und verschickt, das rührt mich auf eine merkwürdige Weise. (Hier kann man die Briefe abonnieren, es gibt auch eine Kinderedition, die sicher ganz toll ist).

Dann hab ich Emily Rapp gegoogelt. Schriftstellerin ist sie, in Nebraska geboren, durch die ganze Welt gekommen, drei Jahre älter als ich. Sie schreibt schöne, schlaue, unheimlich warme Texte, von denen man einige im Netz lesen kann, zum Beispiel ein Essay darüber, wie sehr einem Frauenfreundschaften helfen können, immer wieder. Dann musste ich schlucken, kämpfen, frösteln, weinen. Ihr Sohn Ronan hat einen schlimmen Gendefekt und wird bald sterben. Sie schreibt darüber. Wie es wohl sein muss, wissen zu müssen, dass das eigene Kind bald sterben wird müssen, wie wird man darüber nicht auf der Stelle verrückt, wie bringt man die Kraft auf, darüber zu schreiben, Liebesbriefe, in die Dunkelheit hinein?

Yes, maybe letters are the answer.

15 Kommentare:

  1. Liebe Okka,

    da sitze ich hier am Montagabend und warte eigentlich nur darauf, mein frischgebackenes Brot aus dem Ofen zu holen und dann das. Jetzt habe ich alles über Emily und Ronan gelesen, unter anderem einen wunderbaren Artikel in der Zeit-Online. So viel Liebe. Mir bricht es fast das Herz. Wie reich werden wir alle beschenkt mit unseren Kindern. Mit den gesunden und den kranken. Tapfere Emily. Ich werde jetzt meinen drei wunderbaren kleinen Mädchen noch einen Kuss geben und noch lange wach liegen. Und sehr dankbar sein, sie zu haben.

    Liebe Grüße,

    Isabelle

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  2. WOW!!!!! Gänsehaut... liebe Grüße

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  3. Cool.
    Könnte ich besser Englisch, würde ich das auch bestellen.
    Liebe Grüsse!

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  4. Hach, ich weiß einfach immer wieder, warum dein Blog einer meiner Lieblinge ist! Sobald ich wieder einen festen Wohnsitz habe, mag ich mich auch über viele schöne Briefe freuen dürfen! MERCI dafür!

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  5. Wie schön ist das denn? Gleich mal abonniert, dabei wollte ich doch vor dem Urlaub noch sparsam sein. Aber ich kann ja nicht riskieren, dass mir da möglicherweise ein Brief von Dave Eggers durch die Lappen geht.

    Hach, ist das schön.

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  6. OMG. Was für eine Geschichte. Da hab ich fast Pipi in den Augen stehen....

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  7. Hach - auch ich weiß jetzt wieder warum dein Blog mein absoluter Lieblingsblog ist! Ich liebe dein Schreiben.

    Bitte bitte schreibe Bücher - (*unverschämtmodusan* und zwar jede Wochen einen 300 Seiten Wälzer - pünktlich fertig zum Wochenende *unverschämtmodusaus* :-)
    schreibe über die Welt, das Leben und die Menschen und lass uns alle teilhaben - ich würde sie alle lesen!

    Liebe Grüße
    Sandra

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  8. Aber fühlt man sich da nicht verpflichtet zu antworten? Diese Menschen teilen so intime Gedanken mit Unbekannten, das macht mich traurig. Ich würde ihnen unbedingt antworten wollen.
    Und dabei habe ich schon ein schlechtes Gewissen, weil ich nie dazu komme, meine Mails zu beantworten. Oder genug Zeit für all meine Freunde zu haben.

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  9. Wow, krasse Geschichte!
    Ich find' die Aktion echt schön. Briefe sind wirklich etwas anderes als Emails. Das kann man nicht vergleichen. Briefe sind irgendwie persönlicher und man überlegt genauer, was man schreibt.

    Liebe Grüße.

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  10. du lieber Himmel, da muss ich heulen....

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  11. Nun bin ich zwar noch keine Mami, aber habe einen meiner besten Freunde auf dem aussichtslosen Kampf gegen Krebs begleitet. Früher haben wir uns immer Briefe geschrieben (wenn wunderts, war da doch eine SMS noch sehr teuer und Internet saulangsam), einfach so, Tag für Tag, manchmal lustig, manchmal ernst. Als er ins Krankenhaus kam nicht mehr. Und das tut mir bis heute leid. Seine Briefe habe ich immer noch. Nur selten schaffe ich es auch einen zu lesen, denn seine Schrift, seine Tränen auf dem Papier und seine Zeichnungen, das alles bringt ihn so unglaublich lebendig wieder, wie eine Email es nie könnte und ist so intentsiv, dass ich es kaum ertrage. Aber es ist meine schönste Erinnerung.
    Ich habe mir die Briefe auch gleich abonniert. Was für eine schöne Idee. Endlich wieder etwas währendes zu erhalten. Ich bin gespannt, danke für die wundervolle Idee.
    Liebe Grüße,
    judy

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  12. Was für eine berührende Geschichte. Muss unbedingt mehr über Emily lesen. Wie oft muss einem das Herz brechen, wenn man dem eigenen Kind beim Sterben zusehen muss? Unglaublich...
    Aber die Idee mit den Briefen ist schön. Briefe sind so besonders, nicht zu vergleichen mit Mails, Sms etc.

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  13. So eine schöne Idee mit den Briefen und wie schön du das alles geschrieben hast. Vielen Dank dafür! LG

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  14. Das ist soooooo toll!!! Vielen vielen Dank für den Tipp!! Das werde ich unbedingt abonnieren und auch für eine gute Freundin in Kenia...das könnte ihr gefallen. :)

    Liebste Grüße,
    Yoojin

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    1. Wie schön, dass es Dir auch so gefällt. Heute war wieder ein Brief in der Post, das ist wirklich toll.... Liebe Grüße!

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