Name: Mailis Klaus
Alter: 34
Mutter von: Elias (19 Monate)
Stadt: Wien
Beruf: Wirtschaftsprüfung
Wie ist bei dir die Kinderbetreuung organisiert? Bist du zufrieden damit?
Elias wird seit seinem achten Lebensmonat fremdbetreut, da ich recht früh wieder in die Berufstätigkeit zurückkehren wollte. Anfangs war er von 8 bis 12 Uhr in der Krabbelstube. Ich habe die Betreuungszeit aber relativ schnell bis auf 15 Uhr ausgedehnt, als er dort auch problemlos ein Nachmittagsschläfchen hielt. Damit konnte ich nicht rechnen, da er zu Hause ohne "Einschlafhilfe" von mir meist nicht auskam. Häufig musste ich ihn dazu mindestens eine halbe Stunde durch die Wohnung tragen. Mit der Betreuung bin ich sehr zufrieden. Natürlich hatte er auch Phasen, in denen er bei der Übergabe geklammert hat. Aber er ließ sich von den Erzieherinnen ablenken und beruhigte sich schnell. Abgeholt habe ich immer ein rundum zufriedenes Kind. Bedenken hatte ich nur deswegen, dass die private Krabbelstube zweisprachig (deutsch-französisch) geführt wird. Da Elias zu Hause bereits zweisprachig aufwächst, befürchtete ich eine zu arge Sprachverwirrung. Ab sofort erledigt sich dieser Fall aber ohnehin von selbst, denn der Kindergarten, den er nun ab September besuchen wird, wird auf Deutsch geführt. Ich habe einen Wechsel auch deswegen angestrebt, da ich wieder Vollzeit arbeiten möchte, die bisher genutzte Krabbelstube aber nur von 8 bis 15 Uhr geöffnet ist.
Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?
Ich arbeite in einer internationalen Wirtschaftsprüfungskanzlei, seit Oktober 2011 auf Teilzeitbasis (25 Stunden/Woche), ab September 2012 wieder Vollzeit (in der busy season von Oktober bis März durchschnittlich 60 Stunden/Woche). Ich habe mich um eine schnelle Rückkehr in die Vollzeitarbeit vor allem deswegen bemüht, da man als Teilzeitmitarbeiterin häufig nur eine zuarbeitende Funktion ausübt und keine Projektleitung erhält, wie ich sie vor Elias´ Geburt gewöhnt war. Die grundsätzliche Möglichkeit, meine Arbeit vom Home-Office aus zu erledigen, kommt meiner Rolle als berufstätige Mutter sehr entgegen, da sie meine Flexibilität gegenüber einem reinen Büro-Job erhöht. Mit dieser Lösung bin ich sehr zufrieden.
Wie sieht ein ganz normaler Wochentag bei dir aus?
Ich stehe werktags um 6:30 Uhr auf, in der Regel eine Stunde bevor mein Sohn erwacht. Nach einer Dusche, einer Tasse Kaffee und dem schnellen Durchblättern der Tageszeitung bleibt ca. eine halbe Stunde für meinen Sohn: anziehen, ein paar Streicheleinheiten. Für viel Herumspielen bleibt allerdings keine Zeit. Um 8 Uhr ziehen wir los. Zur Krabbelstube sind es nur fünf Minuten zu Fuß. Dort wird gefrühstückt. Ich nehme mir eine Kleinigkeit auf den weiteren Fußweg von etwa 10 Minuten ins Büro mit. Dass ich praktisch in der Innenstadt wohne und sowohl die Krabbelstube als auch das Büro sich nur ein paar Gehminuten von meiner Wohnung entfernt befinden, schätze ich wirklich sehr. Gegen 15 Uhr hole ich Elias wieder ab. Dann geht es auf den Spielplatz, wo wir uns auch mit anderen Müttern und ihren Kindern treffen. Später erledigen wir bei Bedarf gemeinsam Einkäufe. Abends spiele ich mit ihm ausgiebig (Bilderbücher anschauen, singen, malen, Bauklötzchen arrangieren und wieder umwerfen), bevor er gegen 20 Uhr ins Bett gebracht wird. Häufig setze ich mich dann noch an den PC, um zu arbeiten. Vielleicht ist das nicht immer dringend nötig, ich möchte aber auf diese Weise am kommenden Tag Stress vermeiden.
Wieviel Zeit hast du für dich - jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben? Reicht sie dir?
Da der Vater meines Kindes während der Woche in Prag arbeitet und wir eine Wochenendbeziehung führen, bin ich während der Woche praktisch alleinerziehend. Die eine Stunde am Morgen und die paar Stunden am Abend, die ich für mich habe, reichen mir im Prinzip. Allerdings ist das zu wenig Zeit, um darüber hinaus genügend Freundschaften zu pflegen. Auch meine kulturellen Bedürfnisse (Kino, Theater, Konzerte, Bücherlesen, Reisen) kommen seit der Geburt meines Sohnes eindeutig zu kurz. Dies hole ich im Sommer kräftig nach, da ich von Mitte Juni bis Anfang September nicht arbeite. In dieser Zeit muss ich unbedingt raus aus der Stadt und meinem recht stressigen Alltag, um wieder Energie zu tanken. Elias bleibt dann auch ab und zu eine Woche bei den Großeltern oder in der Familie meines Bruders.
Hast du dir das Muttersein so vorgestellt wie es ist? Was hast du dir anders vorgestellt?
Generell war ich darauf gefasst, dass Muttersein zunächst ein erhebliches Quantum an Selbstlosigkeit bedeuten würde. Dennoch muss ich zugeben, dass ich anfangs doch etwas mit der andauernden Fremdbestimmung durch die Bedürfnisse eines Säuglings zu kämpfen hatte. Ich war von der (zugegeben wohl etwas naiven) Vorstellung ausgegangen, das erste Halbjahr gemütlich neben dem schlafenden, das zweite Halbjahr dann neben dem spielenden Kind genießen zu können. Stattdessen erwies sich mein Sohn als ein ziemlich schlechter Schläfer, und auf dem Spielplatz sowie in der Wohnung als immer die Gefahr suchendes Objekt steter Beobachtungsnotwendigkeit. Meine Vorstellung, dass sich gerade das erste Lebensjahr des Kindes als sehr abwechslungsreich erweisen würde, hat sich für mich nicht wirklich bewahrheitet: Ich fand diese Zeit recht eintönig, bestimmt durch immer die gleichen Handlungen. Inzwischen hat sich das natürlich stark geändert: Elias´ zweites Lebensjahr finde ich spannend und wunderschön!
Was empfindest du als besonders anstrengend?
Von meinem Idealbild einer Familie - Mutter, Vater und Kind(er) haben gemeinsam an einem Ort zu wohnen und glücklich zu sein - musste ich mich aufgrund der beruflichen Situation von Elias´Vater leider verabschieden. Dies ist für mich ein schwieriger Lern- und Anpassungsprozess, mit dem ich mental noch zu kämpfen habe.
Was macht dich besonders glücklich?
Das Kind selbst. Gerade jetzt im Sommer das unbeschwerte Zusammensein mit ihm auf dem Lande, einfach in den Tag, in die Wochen hineinleben ohne Termindruck und Hetze. Nach einem langen Frühstück zum See schlendern, vorbei an Hunden, Katzen und Pferden, machen, worauf man Lust hat, und solange es mit einem Kleinkind eben dauert. Schwimmen, beim Dorfladen Eis essen, dort sitzen bleiben und mit größeren Kindern plaudern. Häufig gehen wir am Vormittag in den benachbarten Kindergarten mit einem Spielplatz wie aus Kinderträumen. Wo in der Stadt wäre es möglich, mit einem fremden Kind einfach zum Spielen vorbeizukommen? Undenkbar! Auf dem Lande herrscht ein anderes Atmen, die Kinder laufen da häufig einfach mit und werden wie nebenbei groß. Für diesen Sommer schufte ich im Herbst und Winter, dies ist meine ganz persönliche Balance zwischen Alltag und Muße.
Welches Verhältnis hast du zum Vater deines Kindes? Wie hat das Kind dieses Verhältnis verändert?
Die Entscheidung über die Zeit für ein Kind habe ich alleine getroffen. Natürlich haben wir darüber gesprochen, nur war der Zeitpunkt in seinen Augen nicht richtig. Wahrscheinlich hatte er damit sogar recht, da er in der Endphase seiner Doktorarbeit steckte. Aber ich ging nicht davon aus, dass ich sofort schwanger werden würde. Am Anfang war es für Elias´ Vater schwer zu akzeptieren, dass nun unser Kind für mich die absolute Nummer eins wurde und er ins zweite Glied zurücktreten musste, zumal ich in seinen Augen seit acht Jahren weiterhin die wichtigste Person in seinem Leben geblieben bin. Für mich wiederum war eben gerade der Umstand gewöhnungsbedürftig zu sehen, dass unser Sohn bei ihm nicht meine Position eingenommen hat.
Da wir aktuell eine Wochenendbeziehung führen (und sich dieser Umstand in absehbarer Zukunft nicht ändern wird), befindet sich die Paarbeziehung im Stand-by-Modus. Zeit für die Zweisamkeit ist da schon viel gewollt. Wir müssen daran arbeiten, dass wir uns dadurch nicht auseinanderleben. Man stellt ja an so ein gemeinsames Wochenende jede Menge Forderungen. Ich möchte mich von der anstrengenden Woche erholen, muss uns aber dann doch durch die Tage dirigieren, weil mein Freund häufig einfach nicht weiß, wie und wann Elias und ich in Wien was zu machen gewohnt sind. Hier muss ich noch lernen, lockerer zu werden und mir einzugestehen, dass der Papa zwar vieles anders macht, aber dass es auch gut und okay ist, wie er das macht.
Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft, die Politik, Menschen mit Kindern ausreichend unterstützt? Was müsste deiner Meinung nach besser werden?
Ich kann mich nicht beklagen: Mein Arbeitgeber hat sich meiner Schwangerschaft gegenüber als großzügig erwiesen und klar gemacht, dass ich nach der Geburt jederzeit willkommen bin. Auch das in Österreich eingeführte einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld hat mir erlaubt, die Karenzzeit ohne finanzielle Nöte zu verbringen. Hinzu kommt, dass Wien sehr kinderfreundlich ist: Es gibt saubere Spielplätze, weitgehend barrierefreie Zugänge zu öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln, Restaurants sind auf Kinder eingestellt. Angesichts ganz anderer Erfahrungen in (ostmittel-) europäischen Nachbarländern muss ich sagen, dass ich wirklich zufrieden bin. Ich möchte allerdings anmerken, dass werdende Mütter bereits früh mehr Eigeninitiative zeigen, nicht die Hände in den Schoß legen und nicht nur mit der Hilfe staatlicher Institutionen rechnen sollten. Ich habe mir die Betreuungsplätze für mein Kind bereits in den ersten Schwangerschaftsmonaten bei zwei verschiedenen Betreuungseinrichtungen gesichert - in der einen für die Zeit ab seinem achten, in der anderen ab seinem 18. Lebensmonat. Zum einen wollte ich so früh wie möglich wieder in die Berufstätigkeit zurückkehren, zum anderen war ich mir nicht sicher, ob Elias bereits zu einem so frühen Zeitpunkt die vormittägliche Trennung von mir verkraftet. Im negativen Fall hätte ich den Krabbelstubenplatz wieder storniert und wäre bis zu seinem 18. Monat zu Hause geblieben, um ihn erst dann in den Kindergarten zu schicken. Um die Karrierechancen von Müttern zu verbessern, bin ich dafür, dass die Papamonate im Regelfall Pflicht sein sollten. Warum sollte man nicht ein Jahr Karenzzeit für Mütter und dann ein halbes Jahr für Väter einführen?
Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, dass du vorher nicht wusstest?
In den zehn Jahren vor Elias´ Geburt habe ich häufig meinen Wohnort gewechselt und in insgesamt fünf Ländern gelebt. Das hat sich beruflich und privat so ergeben und damals dachte ich, das könnte so weitergehen. Seit der Geburt von Elias ist bei mir die Sehnsucht nach dem Ort meiner Kindheit, Estland, viel stärker geworden. Ich merke, wie schwer es mir fällt, in einer Gesellschaft zu leben, in der ich keine Wurzeln habe - es ist ein Gefühl vergleichbar mit einem In-der-Luft-Hängen. Alle neuen Freunde sind mit meiner Arbeit verbunden, alle alten Freunde und Verwandten leben in Estland. Ich fühle keinesfalls, dass ich in Österreich irgendwie benachteiligt oder anders als Einheimische behandelt werde, nur ich selbst habe das Gefühl, dass ich, da ich nicht in Österreich aufgewachsen bin, kein Teil der dortigen Gesellschaft bin und werden werde. Es gibt nicht einen Stein, über den ich mal gestolpert bin, womit ich eine eigene Geschichte verbinde. Es gibt keinen Baum, unter dem ich mal gesessen bin, keine Erinnerung an Gerüche oder Geschmäcker.
Mein Sohn wird wohl als Wiener aufwachsen und die gleiche emotionale Bindung zu seinem Kindheitsort entwickeln. Das nehme ich gerne hin. Ich zweifle aber ernsthaft, ob ich meiner Heimat für immer fern bleiben kann.
Du hast 48 Stunden kinderfrei: was tust du?
So eine Situation ist für mich eigentlich nicht mehr vorstellbar. Auch wenn ich das Kind prima betreut weiß, bin ich im Kopf nicht mehr kinderfrei. Ich würde mich mit meinen besten Freundinnen, die ich in letzter Zeit sträflich vernachlässigt habe, zunächst in einer Cocktailbar treffen, später tanzen gehen und mich fein anziehen, ohne ständig den schokoladenverschmierten Händen eines Zwerges vorbeugen zu müssen.
Was würdest du einer Frau sagen, die sich fragt, ob sie Mutter werden soll?
Ich würde ihr sagen, sie sollte sich nicht den Kopf über den richtigen Zeitpunkt für ein Kind zerbrechen. Denn diesen Zeitpunkt gibt es praktisch nie. Allerdings gibt es auch keinen falschen Zeitpunkt für eine richtige Sache. Bei mir hat es sich gezeigt: Am Ende wird sich immer alles irgendwie fügen. Ein kleines Kind aufwachsen zu sehen, es an der Hand zu nehmen und ihm die Welt zeigen zu können, ist ein wunderschönes, mit nichts zu vergleichendes Geschenk des Lebens.
Vielen Dank, liebe Mailis!
Liebe Okka, vielen Dank für diese unglaublich inspirierende Serie ♥.
AntwortenLöschenLiebe Mütter, vielen Dank, dass ihr so viel von euch preis gebt ♥.
Eure Geschichten machen Mut.
Liebe Grüße
Carina
Wunderbar ehrlich!
AntwortenLöschenDiese Reihe ist wirklich ganz wunderbar und ich freue mich jedes Mal wieder aus lesen. Gerade als (selbständig) arbeitende Mutter von vier Kindern ist es für mich eine grosse Bereicherung zu lesen wie es anderen Müttern geht und viele AHA-Momente zu haben, also zu wissen, dass ich nicht alleine bin mit meinen Problemen, Sorgen und Gedanken. Dafür ein DICKES Dankeschön an Okka und natürlich alle teilnehmenden Mamas!
AntwortenLöschenUnd Dir liebe Mailis auch Dankeschön für den Einblick in Dein Leben!
Ganz liebe Grüsse von
Frau Süd
Freue mich auch sehr über die offenen Worte und über jede Folge dieser Mut machenden Reihe. Vielen Dank! Liebe Grüße, Wiebke
AntwortenLöschenEine wunderbare Serie, über jeden neuen Beitrag freue ich mich. Als in der Schweiz lebende Mutter von inzwischen 2 Kindern, bin ich besonders an den Beiträger jener Frauen interessiert, die wie ich beruflich ein Vollzeitpensum leisten. Die Fragen die Du stellst, liebe Okka, sind feinfühlig und spannend.
AntwortenLöschenBesonders die Worte zum Fremdsein in Wien haben mich sehr gerührt. Es ist eine tolle Stadt, aber auch mich hat es zurückgezogen zu den Wurzeln meiner Kindheit. Liebe Grüße, Uta
AntwortenLöschenVielen Dank Mailis für Deine Worte! Sie haben mich sehr berührt und machen wirklich Mut, nicht auf den "perfekten Moment" für ein Kind zu warten! Ein sehr starkes Interview!
AntwortenLöschenAlles Liebe aus München,
Julia
"Allerdings gibt es auch keinen falschen Zeitpunkt für eine richtige Sache." Weise Worte. Danke.
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