UND WIE MACHST DU DAS, HANNA?
Name: Hanna Lisa Schäublin
Alter: 29
Mutter von: Till (10 Monate)
Stadt: Domat/Ems, Schweiz
Beruf: Architektin
Wie ist bei dir die Kinderbetreuung organisiert? Bist du zufrieden damit?
Wir sind da noch im Probierstadium, aber es läuft sich ganz gut an. Seit einem knappen Monat ist Till ein bis zwei Mal pro Woche für ca. drei Stunden bei einer ganz tollen befreundeten Familie. Sie haben eine 2-jährige Tochter und arbeiten beide freischaffend von zu Hause aus und zeitlich flexibel, d.h. sie machen Nachmittagsausflüge zu viert. Einmal pro Woche kommt meine Schwiegermutter mit Partner für einen langen Spaziergang. Insgesamt habe ich also drei Nachmittage à 3 Stunden zum Arbeiten - den Rest versuche ich während der Vormittags- und Mittagsschläfchen oder am Abend zu erledigen. Meine Eltern wohnen 500 Kilometer entfernt in Deutschland, weshalb sie für eine regelmäßige Betreuung leider nicht in Frage kommen.
Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?
Bevor Till auf die Welt kam, habe ich vier Jahre als Architektin gearbeitet - mehr als Vollzeit, wie branchenüblich. Da es in der Schweiz aber nur 14 Wochen Mutterschutz gibt und mir klar war, dass ein Wiedereinstieg nach so kurzer Zeit für mich nicht in Frage kommt, habe ich meine Stelle gekündigt. Ein Teilzeitjob in führender Postion mit Bauleitung ist fast unmöglich zu realisieren, bzw. findet man kaum den passenden Arbeitgeber dazu. Deshalb kam es mir ganz gelegen, dass meinem Mann und mir das Angebot gemacht wurde, eine kleine, renommierte Schreinerei in einem benachbarten Ort zu übernehmen. Das bedeutet für uns im Moment zwar viel dazulernen und Zeit investieren, die uns für die kleine Familie fehlt - andererseits ermöglicht es mir, von zu Hause aus zu arbeiten, meinen Tag selber einteilen zu können und Till somit viel selber betreuen und genießen zu können. Zur Zeit befinde ich mich allerdings noch schwer in der Findungsphase - irgendwo zwischen noch fast Vollzeitmami, Sekretärin, Geschäftsleitung, Möbeldesign, PR und ganz viel administrativem Bürokram, den eine Firmengründung so mit sich bringt.
Wie sieht ein ganz normaler Wochentag bei dir aus?
Hmmm, normal? Meistens wechselt Tills Rhythmus genau, wenn ich mich gerade darauf eingestellt habe und ihn als "normal" bezeichne. Seit kurzem schläft Till häufig durch, dafür wird er zwischen fünf, halbsechs wach und hat Hunger. Dann steht er mit seinem Papa auf und sie genießen ein Stündchen für sich mit "Herrenfrühstück" und Quatsch machen - ich breite mich in der Zeit nochmal genüsslich diagonal im Bett aus. Wenn mein Mann um halbsieben los muss, bringt er mir Till wieder ins Bett. Oft kuschelt er sich dann an mich und wir können noch ein Stündchen schlafen. Dann anziehen und gemeinsames Frühstück, anschließend spielen wir ein bis zwei Stunden, räumen auf, machen Wäsche und gehen dann einkaufen. Danach schläft Till meist wieder kurz und ich nutze die Zeit um Geschäftskorrespondenz zu erledigen. Anschließend wird gekocht und gegessen - schön, dass wir zu dritt essen können, auch wenn sich die Mittagspause auf 45 Minuten beschränkt. Danach wieder intensiv spielen, lesen, singen, gemeinsames Mittagsschläfchen - langer Mensch eher kurz, kurzer Mensch möglichst lang, damit Mama was erledigen kann. Dann unbedingt raus: spazieren gehen oder Freunde besuchen, eine Stunde Gespräch mit Erwachsenen (zumindest nebenbei) muss schon sein, sonst bekomme ich eine akute Heim- und Kinderliedkrise. Gegen halbsieben kommt der fleißige Mann nach Hause, gemeinsames Abendessen, baden, spielen, Kind ins Bett bringen. Dann wird wieder gearbeitet: Offerten erstellen, Wochenpläne machen, Arbeitsvorbereitungen... Parallel beseitige ich dann noch das Tageschaos. Ab und zu ein Tatort und ansonsten fallen wir meist gegen zehn ins Bett. Das klingt gerade irgendwie viel entspannter als es sich öfter mal anfühlt. Da gibt es natürlich auch die Zahnweh- und Krankheitstage, Tage an denen zu wenig geschlafen wird und Mama und Kind schlechte Laune haben. Am anstrengendsten sind die Tage, an denen man sich zu viel vornimmt, dann klappt meist gar nichts und man kann nur hoffen, dass der Mann nicht allzu spät und möglichst gut gelaunt nach Hause kommt.
Wieviel Zeit hast du für dich - jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben? Reicht sie dir?
Im Moment eher wenig. Wir versuchen beide, ein bis zwei Mal pro Woche Sport zu machen. Ich spiele Basketball und das Tolle am Mannschaftssport ist, dass man eine super Ablenkung vom Alltag hat und liebe Menschen und auch andere Mamis trifft, bei denen man mal den Frust ablassen kann. Da wir vor drei Jahren ein altes Haus gekauft und entkernt haben, sind wir an den Wochenenden mit Umbau - und Gartenarbeiten beschäftigt. Der Hauptteil ist zwar inzwischen wirklich gut bewohntbar, aber es fehlen noch hier und da ein paar Einbaumöbel und im Erdgeschoss bauen wir noch ein Büro aus - allerdings zähle ich die Arbeit am Haus schon zu Freizeitbeschäftigung. Wieder mal ein Buch zu lesen, wäre ein Traum!
Hast du dir das Muttersein so vorgestellt, wie es ist? Was hast du dir anders vorgestellt?
So wirklich konkrete Vorstellungen habe ich mir nicht gemacht, aber emotional stimmt es für mich völlig. Es fühlt sich so gut an, die Sinnfrage ist - zumindest für den Moment - geklärt. Das kleine Wesen füllt einen innerlich und äußerlich total aus, es sorgt gleichzeitig für äußere Beschäftigung und innere Ruhe. Irgendwie hat es der kleine Mann geschafft, die Hierarchie der Dinge völlig zu relativieren und am Schluss vom Tag ist nur noch wichtig, dass wir gesund und glücklich nebeneinander einschlafen. Was ich mir anders vorgestellt habe? Wenn ich ganz ehrlich bin, hab ich es mir etwas entspannter vorgestellt...
Was empfindest du als besonders anstrengend?
Till beschäftigt sich zur Zeit maximal fünf Minuten am Stück mit sich selber, d.h. für mich ziemlich viel aktiv spielen und zwar abwechslungsreich bitteschön, sonst kommt Langeweile auf. Es gibt Tage, da fällt einem einfach nichts Neues mehr ein, man ist müde, hat Kopfweh, hätte gerne eine halbe Stunde für sich. Genau in diesen Momenten sind Kinder dann echt gnadenlos. Außerdem echt anstrengend: zu müde zum Schlafen und zu hungrig zum Essen.
Was macht dich besonders glücklich?
Gerade im jetzigen Alter finde ich es wahnsinnig schön, wie Till aktiv meine Nähe sucht. Er robbt mir hinterher, streckt mir seine Arme entgegen, kuschelt sich vor dem Einschlafen an mich, drückt sein kleines Gesicht an meines und lacht wirklich jedes Mal, wenn er mich sieht (auch nach dem gefühlten 99sten mal "Kukuuuuuuus!").
Welches Verhältnis hast du zum Vater deines Kindes? Wie hat das Kind dieses Verhältnis verändert?
Wir sind inzwischen seit knapp fünfeinhalb Jahren zusammen, seit letztem Jahr verheiratet. Ich empfinde uns als tolles Team. Gemeinsam haben wir unser Haus gekauft und umgebaut, die Schreinerei übernommen, eine komplikationsreiche Schwangerschaft überstanden, unsere kleine Familie gegründet. Wir ergänzen uns nahezu ideal, er gibt mir Ruhe, ich ihm Kraft - oder auch mal umgekehrt. Seit der Geburt unseres Sohnes ist die Paarzeit auf ein Minimum geschrumpft, aber da wir wissen, dass da irgendwo in der Zukunft auch wieder Zeit zu zweit wartet, genießen wir jetzt erstmal die Familienzeit und die wenigen wachen Minuten am Abend, wenn der kleine Mensch schon schlummert und die großen Menschen fast wach sind.
Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft, die Politik, Menschen mit Kindern ausreichend unterstützt? Was müsste deiner Meinung nach besser werden?
Schwierige Frage. Hier in der Schweiz leben wir in einem der am wenigsten weit entwickelten Industrieländer, was Familienunterstützung angeht. Wir haben nur 14 Wochen bezahlten Mutterschutz und keinen Erziehungsurlaub. Väter bekommen bei der Geburt zwei Tage frei. Der Kindergarten beginnt erst mit fünf Jahren, vorher gibt es zwar Spielgruppen, aber die haben sehr eingeschränkte Öffnungszeiten (zumindest in den ländlichen Regionen) und sind relativ teuer. Das finde ich schon sehr heftig. Klar, wir haben entsprechend weniger Sozialabgaben zu zahlen, man kann sich eventuell selber unbezahlten Urlaub ansparen oder kündigen, aber das klappt dann doch nur bei den etwas besser Verdienenden. Die Vorstellung, dass Mütter ihre 14 Wochen alten Säuglinge fremd betreuen lassen müssen, weil sie es sich nicht leisten können, zu Hause zu bleiben, finde ich grausam und gegen jeden Mutterinstinkt. Ich finde, es sollte - wie auch immer - für jedes Elternpaar die Möglichkeit bestehen, dass sie ihr Kind/ ihre Kinder 100% selber erziehen können, wenn sie das wollen. Andererseits sollte für jeden, der gerne arbeiten möchte, zahlbare Betreuungsmöglichkeiten bestehen. Meiner Meinung nach können Eltern nur dann gute Eltern sein, wenn sie ausgeglichen sind, wenn sie "freiwillig" arbeiten/ Kinder betreuen, ihre Balance gefunden haben zwischen "Hausfrau/-mann" und "Working Mum/ Dad" und nicht, weil es finanziell nicht anders funktioniert. Es müsste doch möglich sein, dass eine Familie mit einem vollem Gehalt auskommt, wie auch immer sich die Partner das dann aufteilen. Im Fall des Alleinerziehenden würde entsprechend gelten WILL der Alleinerziehende gerne arbeiten, sollte das durch gute und zahlbare Betreuungsmöglichkeiten funktionieren. Möchte er/sie zu Hause beim Kind bleiben, sollte das ebenfalls möglich sein und zwar ohne deshalb finanziell völlig eingeschränkt zu sein.
Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, dass du vorher nicht wusstest?
Ich habe gelernt, dass sich die Welt nicht um mich dreht, sondern um Till! Nein, im Ernst: Ab und zu ist es glaube ich gesund, wenn sich der Horizont etwas einschränkt, wenn der Familienkosmos einen so beansprucht, dass man den Rest des Alls völlig aus den Augen verliert. Vor meiner jetzigen Partner-, Schwanger- und Mutterschaft hab ich mich oft rastlos gefühlt, immer auf der Suche nach DEM Weg, DEM Ziel, DER Erkenntnis. Klar hab ich diese endlosen Diskussionen mit mir selbst oder anderen auch genossen und werde sie wohl wieder genießen, aber im Moment tut es gut, angekommen zu sein. Die Probleme der Welt lasse ich eine Zeit lang andere lösen, weil ich jetzt füttern, wickeln und spielen muss. Irgendwie findet man vielleicht erst zu sich selbst, wenn man keine Zeit mehr zum Suchen hat?
Du hast 48 Stunden kinderfrei: was tust du?
Ich packe meinen Rucksack und ziehe mich an einen unserer wunderschönen Bergseen zurück. Lesen, dösen, Grashalme zählen, ich lasse mich im Bergrestaurant verwöhnen und esse OHNE aufzustehen. Abends zwei gute Gläser Rotwein und ein Grappa, noch 5 Seiten im Buch und dann schlafen, schlafen, schlafen... Am nächsten Tag fahre ich mit dem Zug nach Zürich, treffe Freunde, Shopping, "käffele" und abends lasse ich mich mal wieder durch die heimischen Clubs und Kneipen im Chur treiben: sorglos und mit dieser leichten Euphorie, die man an lauwarmen Sommerabenden mit ein, zwei Gläschen zu viel so fühlt, ohne Uhr und ohne Handy.
Was würdest du einer Frau sagen, die sich fragt, ob sie Mutter werden soll?
Sie soll auf ihr Herz hören! Wenn das längerfristig und eindeutig "JA" sagt, dann los! Der Kopf findet wohl immer "vernünftige" Gründe, warum es nicht der richtige Zeitpunkt sein könnte: man ist beruflich noch nicht auf dem Stand, finanzielle Sorgen, man hat noch nicht jeden Winkel der Welt gesehen, man fühlt sich noch nicht erwachsen genug. Bei mir war es ein kontinuierlich wachsenden Bedürfnis und nicht ein Gefühl wie "JETZT bin ich erwachsen genug und bereit für ein Kind". Eher umgekehrt, da war mein Bauch, dann mein Kind und plötzlich bin ich hin und wieder erwachsen. Kinder brauchen vor allem eines: die Liebe ihrer Eltern, alles andere bekommt man dann schon in den Griff.
Vielen Dank, liebe Hanna!
Hier sind die Fragebögen von Jule, Kati, Indre, Isabelle und Mailis.
Falls ihr auch gerne diesen Fragebogen beantworten würdet oder jemanden kennt, der ihn beantworten sollte (sehr gerne auch aus dem Ausland), schreibt mir doch eine Email an: postanslomo(at)googlemail(dot)com.
Ein schönes, entspanntes Wochenende! Und danke für eure Kommentare diese Woche, ich hab mich so über jeden gefreut!
Slomo All rights reserved © Blog Milk Powered by Blogger
Wunderbar sympathisch.
AntwortenLöschenWahnsinn, das wusste ich echt nicht, wie das in der Schweiz so läuft. Wie alle anderen Interviews, habe ich dieses auch dieses wieder verschlungen. In jedem Interview gibt es mindestens eine Stelle, wo ich nicken muss, eine, wo ich seufzen muss, eine, wo mir die Tränen kommen, und eine, wo ich staunen muss. Ich liebe diese Reihe und kann das nächste Interview kaum erwarten. Hanna, mir gefällt besonders, wie du schreibst, dass die Suche nach sich selbst erstmal vorbei ist, weil alles einfach stimmt, so wie es ist, auch wenn es anstrengend ist. Das empfinde ich genauso! Liebe Grüße in die Schweiz und nach Berlin!!!
AntwortenLöschenIch liebe diese Reihe auch und warte sehnsüchtig auf die nächste Folge! Tut immer wieder gut, berührt und klärt auch auf. Ich wusste gar nicht wie es in der Schweiz so läuft, mit der Kinderbetreuung. Hanna beschreibt sehr gut, wie es ihr damit geht. Vielen Dank! Schöne Grüße, Wiebke
AntwortenLöschenIch wohne auch in der Schweiz und habe noch keine Kinder. Ich sehe es ähnlich wie Hanna, die Familienpolitik hier ist total rückständig. Ich liebe meinen Beruf und habe die Verantwortung für 12 Mitarbeiter – und momentan, auch wenn der Wunsch noch nicht da ist, beinahe Angst vor dem Kinderkriegen, weil ich nicht wüsste, wie das funktionieren soll.
AntwortenLöschenEin sehr schönes Interview, Danke. Als Schweizerin kenne ich die angesprochenen Probleme, würde aber trotzdem sagen, dass es möglich ist. Auch unkonventionelle Wege führen zum Ziel. Als Studentin und Mutter bin ich bisher gut durchs Leben gekommen, besser als ursprünglich erwartet.
AntwortenLöschenEin sehr tolles Interview.
AntwortenLöschenMich bewegt gerade besonders der Satz: "Irgendwie findet man vielleicht erst zu sich selbst, wenn man keine Zeit mehr zum Suchen hat?" Manchmal, wenn bei mir auch schon der Gedanke nach dem ersten Nachwuchs hoch kommt (naja ein paar Jahre hat es noch Zeit), denke ich im nächsten Moment, dass ich aber doch noch so viel machen muss vorher, noch auf so viele Fragen Antworten brauche, erst mal sicher sein will. Aber vielleicht braucht man das gar nicht, vielleicht merkt man erst mit Kind, dass man eigentlich doch (schon) alles Wichtige (gefunden) hat.
Viele Grüße,
Stefanie