EIN PAAR DINGE, DIE ICH IN PARIS BESONDERS MOCHTE
* Den Jardin du Luxembourg. Neben dem Teich gibt es einen Stand, der kleine Segelboote verleiht. Stupst man sie mit einem Stock an, treibt der Wind sie im wildem Zickzack über den See, man schafft es kaum, am Ufer hinterher zu rennen. Auf dem altmodischen Karussell bekommen die Kinder kleine Stöckchen in die Hand, falls sie Lust haben, mit ihnen die Ringe zu fangen, die der Besitzer für sie in die Höhe hält. Neben dem Ausgang sitzen die Schachspieler. Um einen Tisch herum stehen viele Menschen, die beiden Spieler müssen sehr gut sein.
* Die Pains au chocolat von der Bäckerei Maison Landemaine. Buttrig, luftig, nicht so süß, was an der Bitterschokolade liegt, die unbeeindruckt unter all der Luftigkeit liegt wie eine Katze in der Sonne.
* Der Lebensmittelladen G. Detou. Erstaunlich klein für die schier unglaubliche Menge an Dingen, die man hier entdecken kann: Tee, Senf, Schokolade, Nüsse, Vanilleschoten. Am Ende bezahle ich bei der streng blickenden Dame an der Kasse eine Tüte Honigbonbons. Die sind genauso gut wie das Mittagessen danach. Über die Rue Montorgueil gehen wir zu Frenchie To Go. Auf der kleinen Karte stehen Burrata mit Pesto und Champignons, Reuben Sandwiches oder Fish & Chips – Namen, die unzureichend nüchtern sagen, was da Tolles auf den Teller kommt.
* Die Maiglöckchen-Sträuße, die am 1. Mai an jeder Ecke verkauft werden.
* Der Parc Marcel-Bleustein-Blanchet – schon beim letzten Mal einer meiner Lieblingsorte. Im kleinen Park auf der Rückseite von Sacré-Cœur sitzen Verliebte, Freunde, Familien, irgendjemand spielt Gitarre, No Woman No Cry, ich summe auch mit. Am Ende der Wiese gibt es einen kleinen Spielplatz mit einer Schräge, auf der Fanny immer und immer wieder hinunter rutscht.
* Das Stöbern nach französischer Kosmetik. Bei Buly zum Beispiel, einem Kosmetikladen, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Oder bei Oh My Cream (einem Tipp von Hanna). Bei Diptyque schnuppere ich mich durch alle Parfüms, weiß aber schon nach einer Sekunde, dass es ein ganz bestimmter und kein anderer Duft sein soll: das Eau Plurielle. (Merkwürdig, dass man sich in etwas vergucken, aber nicht verriechen kann, denn das würde es gut beschreiben: Liebe auf den ersten Atemzug.) In der berühmten Apotheke mit den besonders guten Preisen ist es so voll, dass ich gleich wieder gehe und mich lieber noch auf den Weg zu Bon Marché mache.
* Denn dort gibt es auch die Grande Epicerie. Umgebaut, seit wir das letzte Mal in Paris waren, und jetzt: schlicht sprachlos, glücklich, kicherig machend. Dürfte ich mich irgendwo eine Nacht einschließen lassen, dann bitte in diesem Supermarkt.
* Unser Picknick an der Seine, ihr Picknick. Nach unserem ersten Picknick will sie unbedingt noch ein zweites vorbereiten, aber ganz alleine. Wir dürfen nicht zusehen und auch nicht in die Tasche gucken, nicht mal ein bisschen, erst als wir uns auf eine Bank an der Spitze der Île Saint-Louis gesetzt haben, packt sie alles aus: ein halbes Baguette, Ziegenkäse, Honigbonbons, eine Orangensafttüte und ihren kleinen Bagger. Der will auf dem Spielplatz später noch schaufeln gehen.
* Der Vergnügungspark Jardin d´Acclimation. Wobei Vergnügungspark viel lauter klingt, als dieser Park es tatsächlich ist. Die Attraktionen sind herrlich altmodisch: kleine Boote, die auf einer Wasserbahn dahingleiten, bunte Enten, die man angeln kann, eine kleine Eisenbahn, die durch den Park fährt, dazwischen sehr viel Grün, daneben die Fondation Louis Vuitton.
* Durch das Marais zu bummeln. Die Mode im Kinderladen Bonton ist arg teuer, die Kleinigkeiten, die man im Erd- und Untergeschoss findet, sind dafür sehr bezahlbar. Und so hübsch: Tierradiergummis, bunte Armbänder, Geburtstagsblumenkronen – und neben der Kasse steht ein Passfotoautomat samt Verkleidungszubehör. Und Merci, der (völlig zurecht) beschwärmte Concept Store, ich mag ihn so. Auch toll: Soeur, Frenchtrotters, Swildens, der wunderschöne Marché des Enfants Rouges, das Café Charlot und Popelini – eine Patisserie, die ausschließlich kleine, gefüllte Windbeutel verkauft.
* Die Mur des je t´aime, eine Mauer neben der Station Abbesses, auf der in 250 Sprachen „Ich liebe dich” geschrieben steht.
* Das perfekte Sommerkleid zu finden, als ich gar nicht danach gesucht habe.
Mit nach Hause gebracht:
Einen kleinen U-Bahn-Faltplan, den Fanny in der Metro von einem Mann geschenkt bekam, als er sah, wie toll sie ihn fand. Handcreme von Caudalie. Ein neues Glücks-Armband von Merci. Orangen-Einwickelpapier. Tierradiergummis von Bonton. Und zwei Buttons. Reisefotos (am letzten Abend habe ich mir ein paar Lieblingshandyfotos als Polaroids bestellt). Visitenkarten von vier Lieblingsläden: dem französischen Restaurant Cassenoix, Frenchie to Go, Oh my Cream und Frenchtrotters. Ein Ticket fürs Lieblingskarussell (als Versprechen wiederzukommen). Eine Paris-Schneekugel für die Schneekugelsammlung. Das Eau Plurielle von Diptyque. Paris-Streichhölzer von Merci. Und ein Sommerkleid von & Other Stories.
UND WIE MACHST DU DAS, BERIT?
Name: Berit Walch
Alter: 36
Mutter von: Nik und Jona
Stadt: Ein kleines Örtchen bei München
Wie war es für dich, als du erfahren hast, dass du Zwillinge bekommst?
Ich kann mich an jede Sekunde dieser Situation erinnern. Ich sitze auf dem Behandlungsstuhl meiner Frauenärztin, die mit einem Ultraschallstab herumwurschtelt und betrachte den schwarz-weißen Bildschirm, auf dem ich eigentlich nie so richtig etwas erkenne, außer psychodelisch wabernde Flecken. Ich halte es für ein medizinisches Wunder, dass es einem menschlichen oder vielmehr ärztlichem Auge gelingt, auf diesen Dingern Nieren, Blasen und Magenwände auszumachen. Aber dann erkenne ich doch etwas. Zwei weiße Punkte. Moment mal. Hab ich Halluzinationen? Wieso zwei? Meine Frauenärztin, eine ältere, ebenso herzliche wie kurzsichtige Frau, die nicht wirklich die Souveränste im Umgang mit ihrem Ultraschallgerät ist, nestelt an ihren Instrumenten herum. Während ich immer noch Kopfrechenarbeit leiste, drückt sie permanent auf einen kleinen Knopf, von dem ich nicht die leiseste Ahnung habe, wofür er gut sein soll. Ich starre wie paralysiert auf den Bildschirm und frage: „Äh… Entschuldigung? Sind das da ZWEI Embryos???“ Sie runzelte die Stirn, rückt sich (eine gefühlte Ewigkeit) die Brille zurecht, heftet sich mit ihrer Nase vor den Bildschirm und nimmt mir die Sicht auf die zwei, nein halt, meine zwei Punkte. Am liebsten würde ich sie zur Seite schubsen. Dann höre ich einen Satz, der nach mehr als drei Jahren noch immer in meinen Ohren nachhallt: „Ach tatsächlich, das sind wirklich ZWEI!“
In diesem Moment prasseln Bilder aus der Zukunft über mich herein, als wäre die Glaskugel eines Wahrsagers zersprungen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich selbst Zwilling bin. Ich sehe mich mit zwei Babys auf dem Arm, sehe zwei Schultüten, vier kleine Schuhe auf dem Flur, zwei Geburtstagstorten auf dem Tisch. Ich werde von Wärme und Kälte zeitgleich durchflutet und lache und weine. Ich lache, weil ich als Zwilling weiß, dass es nichts Großartigeres auf der Welt gibt als eine Zwillingsschwester. Und ich weine, weil ich in diesem Moment das erste Mal in meinem Leben begreife, wie schwer es für meine Mama gewesen sein muss, uns beide groß zu ziehen. Eine Stunde und 100 weise Ratschläge meiner Ärztin später, taumele ich aus der Praxis, beseelt von dem Gefühl, ein unglaubliches Geheimnis in mir zu tragen, das nur ich und meine Frauenärztin kennen. Ich rufe meinen Mann an, um es mit ihm zu teilen. Das Glück strömt durch mich hindurch und Tränen über mein Gesicht, als ich sage: „Du wirst Doppel-Papa! Es sind Zwillinge!“
Wie kompliziert oder unkompliziert ist es, einen Kita-Platz für Zwillinge zu finden?
Meine Erfahrung: Für Großstadt-Mamis ist ein Kita-Platz mit Zwillingen ungefähr so realistisch, wie die Aussicht auf einen Morgen, an dem die beiden frisch geföhnt und selbstständig angezogen mit einem Frühstückstablett vor dem Bett stehen und fragen: „Mama, magst Du jetzt Croissant und Kaffee, oder nach dem Schaumbad, das wir gerade für dich eingelassen haben?“
Als wir damals noch in München wohnten, und ich gerade dabei war, meinen KITA-Triathlon oder besser den KITA-Iron-Man (ich klapperte mehr als 20 ab) zu bewältigen, hörte ich bei fast jeder Einrichtung folgenden Satz: „Zwillinge?! Da nehmen sie ja gleich zwei Plätze weg(!)“. Soviel dazu. Schlussendlich steckten mein Mann und ich unsere Kinder (und nahezu unser gesamtes Gehalt) in eine der teuersten KITAS Münchens, die – Überraschung – noch zwei Plätzchen auf ihren Yoga-Matten frei hatte. Als dann eines Tages unsere eineinhalbjährigen Kinder zur Oma statt „Gute Nacht“ „Good Night“ sagten, weil sie das in ihrem Englisch-Kurs in der KITA gelernt hatten, war das Maß voll. Wir flüchteten aufs Land. Unsere jetzige KITA, bei der wir sofort zwei Plätze bekamen, ist zwei Gehminuten von unserem Haus entfernt, kostet ein Viertel von dem, was wir vorher bezahlt hatten, und hat einen Garten, der so riesig ist, dass man Geo-Caching darin veranstalten kann. Ja, auf dem „Dorf“ ist die Welt einfach noch in Ordnung.
Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Wie funktioniert das für dich?
Folgende Worte einer Freundin haben mir das Leben gerettet:
„Berit, wenn du in Teilzeit wieder anfängst – nimm dir den Freitag frei!“ Liebe Ute, wenn du das liest: Dein Rat war das wahrscheinlich Weiseste, das jemals ein Mensch zu mir gesagt hat. DANKE! Nur so funktioniert es für mich: Ich arbeite von Montag bis Donnerstag von 09:30 bis 15:00 Uhr. Mein Tag splittet sich also in zwei Hälften: Wahnsinn am Vormittag in der Firma (mit ein bisschen Chaos davor – Stichwort: Zwillings-KITA-Logistik) und Wahnsinn am Nachmittag zu Hause (mit ein bisschen Chaos danach – Stichwort: Zwillings-Bett-Logistik). Beide Hälften liebe ich heiß und innig. Abends falle ich wie ein Stein ins Bett und anschließend ins Koma, aus dem mich gegen 1:15 ein
„MAAAAAAAAAAAAAAAAMA“ von Nik und um 2:30 ein
„MAAAAAAAAAAAAAAAMA“ von Jona reißt. Und am nächsten Tag? Geht der Wahnsinn in zwei Hälften wieder von vorne los. Da ist der Freitag dann schlichtweg das Licht am Ende des Wochentunnels. Mein Mann behauptet in seiner unendlichen Dreistigkeit doch tatsächlich, ich hätte an diesem Tag „frei“. Das ist so natürlich keinesfalls richtig, denn das impliziert ja, ich hätte freitags so etwas wie Urlaub. Falsch. Ich habe freitags REHA!
Wieviel Zeit hast du für dich – jenseits deiner beruflichen und familiären Aufgaben? Reicht sie dir?
Hier meine Freizeitgestaltung knapp zusammengefasst:
Montag bis Donnerstag 20:30 – 22:00 Uhr: Zeit für Hobbies (wie Schreiben/ Lesen/ Weißbier trinken), manchmal auch exakt in dieser Reihenfolge.
Die weitere Stunde (um 23:00 Uhr falle ich ins Bett) kann man streng genommen nicht mitzählen, weil ich zu diesem Zeitpunkt bereits so müde bin, dass ich die Welt nur noch in Fragmenten wahrnehme (wobei dieser Zustand durchaus angenehm ist).
Einmal pro Woche 19:30 – 23:30: Mädels-Abend!
Wir sind mittlerweile fast alle Mamis und zwingen uns mit viel Selbstdisziplin, diese Tradition aufrechtzuerhalten.
Wenn wir unserem Schweinehund erstmal den Arschtritt verpasst haben (verzieh Dich, Töle, ich BRAUCHE ein Leben neben Windeln und Weichspüler!), in unserer Stamm-Kneipe sitzen und wie früher in einen Tratsch-Rausch verfallen, ist dieser Abend der schönste der Woche. Die Tatsache, dass das „Erwachen am Morgen“ grausam werden wird, können wir mit Enthusiasmus und viel Alkohol erfolgreich verdrängen.
Einmal pro Woche FREI-Tags 8:00 – 15:00: Regeneration.
Ich genieße den Luxus, erst nach dem KITA-Gang zu duschen (und zwar exzessive 20 Minuten) und verbringe den Rest des Tages mit der wohl herrlichsten aller Freizeitbeschäftigungen einer Mutter: dem NICHTSTUN, dass ich nur bei ungeahnten Energieschüben mit Soft-Shoppen und einem Spaziergang kombiniere.
Einmal pro Woche (je nach Absprache mit meinem Mann Samstag oder Sonntag) 23:00 – 09:30 verbringe ich meine Zeit mit der wohl zweitherrlichsten aller Freizeitbeschäftigungen einer Mutter: SCHLAFEN!
Ob mir das reicht? Nein! Immer, wenn mir das bewusst wird, zähle ich die Tage, bis Nik und Jona endlich „groß“ sind, in die Schule gehen und ich wieder mehr Zeit für mich habe. Und immer wenn ich das denke, wird mir klar, dass ich JEDE SEKUNDE genießen, ja, aufsaugen muss, in der Nik und Jona „klein“ sind und mir meine Freizeit rauben. Denn letztlich sind es diese Momente, die mein Leben ausmachen: Wenn die zwei mich in den Wahnsinn treiben, weil sie ihre Schuhe verkehrt herum angezogen haben und darauf bestehen, so in die Stadt gehen zu wollen; mich mit einem „MAAAAAAAMA“ aus dem Schlaf reißen, weil ihr Kuscheltier verschollen ist oder sich Bauklötze auf den Kopf hauen, um zu überprüfen, wie das klingt. Meine Zwillinge sind die zeitraubendste, schönste Freizeitbeschäftigung, die ich mir vorstellen kann.
Was empfindest du als besonders anstrengend?
Es sind die kleinen Momente, die das Dasein als Zwillings-Mami anstrengend machen. Zum Beispiel, wenn man seine Kinder an einer vielbefahrenen Straße aus dem Auto holen möchte. Für eine Mutter mit einem Kind ist das ein Handgriff, für eine Zwillingsmami Hochleistungs-Akrobatik. Hier eine kleine Turn-Anleitung: Man klemme das erste Kind, das man aus dem Auto gehoben hat, mit dem Kopf zwischen seine Schenkel, während man sich bereits dem Bandscheibenvorfall nahe, in das Fahrzeug beugt, um das zweite Kind abzuschnallen. Wuchte es dann neben den Zwillingsbruder (ohne den dabei versehentlich zu zerquetschen) und rufe den aufgebrachten Passanten, die gerade im Begriff sind, das Jugendamt einzuschalten zu: „Guckt nicht so doof, das gehört so!“
Was macht dich besonders glücklich?
Es macht mich glücklich, dass jeder Tag mit meinen Kindern wie eine Reise in meine eigene Kindheit ist. Sie erinnern mich daran, dass ein Kind immer reich ist. Wie wertvoll Tannenzapfen, Schneckenhäuser und Kronkorken sind. Sie erinnern mich daran, wie es ist, sich für kleine Dinge Zeit zu nehmen. Wenn man auf dem Weg zur KITA (die man eigentlich binnen zwei Minuten abgehetzt erreichen müsste, um noch rechtzeitig zum Frühstück zu erscheinen) ein Blümchen am Wegrand, ein Flugzeug am Himmel oder eine Kippe auf der Straße bewundert. Sie erinnern mich daran, dass es das größte aller Gefühle ist, wenn man etwas selbst geschafft hat; dass es natürlich ein Drama und keine Kleinigkeit ist, wenn eine Mama aus der KITA die kleine Pforte zum Gruppenraum aufgemacht hat, obwohl man das eigentlich selbst machen wollte. Sie erinnern mich daran, wie wichtig es ist, neugierig zu bleiben. Wie dringend man einen alten Schal inspizieren muss, der im Gebüsch hängt.
„Mama, was ist das?“
„Ein alter Schal.“
„Wer hat ihn da hingeworfen?“
„Keine Ahnung. Irgendjemand.“
„Warum?“
…
Auf dem amerikanischen Blog „Kveller - Life with Twins” schreibt Adina Kay-Gross: „Holy Crap! Twins?? That´s what we hear on a regular basis, usually as we walk around the neighborhood with our mammoth stroller loaded with our 4-month-old twin girls. We are a magnet for kind and curious comments from strangers. (...) The questions continue to come: „Twins?! Holy Crap. What´s that like, having two? And that´s usually followed by: „I cannot. Even. Imagine.” Hast du ähnliche oder ganz andere Erfahrungen als Zwillingsmama gemacht?
Exakt dieselbe, nur das sich das in Bayern so anhört:
„Ja do legst di nieda, zwoa glei? Naa, des kannt‘ i ned!“
(= „Ja, sowas, zwei gleich? Also ich könnte das nicht!“ )
Ich antworte dann immer, dass ich ja nicht wissen kann, wie es ist, nur ein Kind großzuziehen. So, wie ein Mensch, der ohne Beine geboren wird, auch nicht weiß, wie es ist, Füße zu haben.
Welche Fragen werden dir andauernd gestellt – und wie beantwortest du sie?
Es ist wirklich lustig, aber die häufigste Frage, wenn ich mit meinen beiden Kindern, die sich wie ein Ei dem anderen gleichen, durch die Straßen gondele, ist folgende: „Sind das Zwillinge???“ Ich antworte dann (wahlweise): „Nein, das ist das Kind unserer Nachbarn, das meinem verblüffender Weise zum Verwechseln ähnlich sieht.“ Oder eben schlichtweg: „Ja.“
Was hast du durchs Muttersein über dich und die Welt gelernt, das du vorher nicht wusstest?
Ich wusste nicht, wie schön es sich anfühlt, wenn deine Kinder bei dir auf der Brust liegen, in andächtiger Stille, weil du ihnen die Geschichte von Minimaus und dem Mond erzählst und du erst nach einer halben Stunde merkst, dass sie dir gar nicht zuhören, sondern schlafen. Ich wusste nicht, wie schön es klingt, wenn deine Kinder in schiefen Tönen und voller Inbrunst „Meine Oma fährt im Hühnerstall „Totorrad““ singen. Ich wusste nicht, wie gut die Haare deiner Kinder riechen, selbst wenn du sie zwei Wochen lang nicht gewaschen hast, weil Haarewaschen einem Nahkampf gleich kommt. Vor allem aber wusste ich nicht, was echte Angst bedeutet. Bevor ich Mutter wurde wusste ich nichts.
Gibt es wirklich eine besondere Bindung zwischen Zwillingen?
Oh ja, die gibt es. Ich weiß es spätestens seit folgendem, magischen Moment. Meine Zwillinge kamen viel zu früh, in der 29. Woche, als sogenannte „Extrem-Frühchen“ zur Welt. Jona wog 1.500 – sein Bruder 1.000 Gramm. Beide wurden nach der Geburt getrennt und in separaten Inkubatoren aufgepäppelt. Beim sogenannten „Känguruhen“, bei dem der Mutter das Kind auf die Brust gelegt wird, damit es die Wärme und den Herzschlag seiner Mama spüren kann, wechselte ich mich mit beiden ab. Vormittags känguruhte ich mit Nik, nachmittags mit seinem Bruder. Als es Jona eines Tages sehr schlecht ging, und seine Sättigungswerte immer weiter in den Keller rauschten, beschloss eine Krankenschwester, Nik dazu zu holen. Es war eine sehr aufwendige Prozedur, ihn aus dem anderen Zimmer mit all den Geräten und all den Schläuchen zu seinem Bruder auf meine Brust zu betten. Aber dann war es soweit. Nik sah Jona, mit dem er sich sieben Monate lang eine Bauch-WG geteilt hatte, nach zwei Wochen Trennung das erste Mal wieder. Erst drehte er sein Köpfchen und schien sich zu wundern. Dann umklammerte er mit seinem winzigen Arm seinen Bruder, als wolle er ihn begrüßen. Es war ein unbeschreiblicher Moment – für uns alle. In wenigen Minuten stabilisierte sich Jonas Sättigung und sein Herzschlag. Von diesem Tag an känguruhten wir nur noch zu dritt.
Du hast in deiner Elternzeit ein Buch geschrieben. Wie kam es dazu und wie war das für dich?
Schon als kleines Mädchen liebte ich es, Geschichten zu schreiben. Ich schrieb über Kaulquappen und Baumhäuser, darüber, wie es wäre Forscherin zu sein, über Räuber, die sich im Park versteckten und Wassermänner, die in Flüssen lebten. Als ich dann als 10-Jährige einen Schreibwettbewerb gewann, der Bürgermeister mir die Hand schüttelte und ich staunend feststellte, dass sogar ein Fotograf ein Bild von mir wollte, beschloss ich, Schriftstellerin zu werden. Aber wie das mit Kindheitsträumen so ist – es sind eben Träume, und mit denen verdient man kein Geld. Ich wurde Journalistin beim Fernsehen. Immerhin, hier durfte ich schreiben. Ich schrieb mal Moderationstexte, mal Treatments. Ich schrieb Drehbücher und Konzepte. Letztlich aber schrieb ich Papier voll. Über das, was ich liebte, schrieb ich nicht. Vielleicht wäre das auch für immer so geblieben, wenn ich eben nicht Mama von zwei Frühchen geworden wäre. Diese beiden Winzlinge (die heute gar nicht mehr winzig sind, sondern 3-jährige propere Jungs) sorgten dafür, dass ich mich daran erinnerte, wer ich wirklich war, und was ich wirklich wollte. Als ich mit ihnen Stunden, Tage und Wochen in einem Klinikzimmer auf einem Klappstuhl verbrachte, stand meine Welt still. Als hätte jemand auf eine Bremse getreten. Das Leben, durch das ich bis dahin gehetzt war wie eine Getriebene, spielte sich in Slow-Motion ab. Es gab nur mich, den Stuhl, meine beiden Kinder auf meiner Brust – und meine Geschichten. Mal dachte ich sie leise, mal erzählte ich sie den Zwillingen in ihr Ohr. Sie waren unsere Begleiter in einer kleinen, surrealen Welt, einem Klinikraum der Neointensiv München. Als ich meine Zwillinge dann endlich – nach fast 3 Monaten Klinik – über die Türschwelle in unser Zuhause trug, war es, als hätte man mich aus einem Käfig entlassen. Ich war nicht mehr Stunden um Stunden an einen Stuhl gefesselt. Ich durfte meine Kinder aus ihrem Bettchen heben, ohne vorher eine Schwester zu fragen. Ich konnte sie auf dem Arm herumtragen, ohne sie vorher von Kabeln und Schläuchen zu befreien. Ich war frei. Meine Kinder waren frei. Und weil sie das Känguruhen nicht mehr brauchten, sondern in ihren Bettchen schliefen, hatte ich plötzlich unendlich viel Zeit. Und so begann ich nach Jahren wieder eine Geschichte zu schreiben. Eine lustige (schließlich hatte ich die Wochen zuvor genug Tränen vergossen). Ich schrieb über eine junge Frau, die in München lebt, und taufte sie Milla. Ich schrieb über Milla, die von ihrer großen Liebe Tim verlassen wird, und dadurch in ein riesiges Chaos schlittert. Ich schrieb „30 Tage nach Tim“, einen Roman, der am 8. April bei forever by Ullstein veröffentlicht wurde. Und wenn ich das Cover des Buches heute betrachte, dann weiß ich, dass das Schrecklichste, das dir im Leben passieren kann, manchmal das Beste in dir hervorbringt.
Falls ihr diesen Fragebogen so gerne gelesen habt wie ich: Hier gibt es eine Leseprobe von „30 Tage nach Tim“ (Ullstein/ Forever). Alle anderen Mutterfragebögen sind hier nachzulesen.
Herzlichen Dank, liebe Berit.
NOCH EINMAL PARIS
Die Fliese in der Küche wackelt immer noch. Dafür steht im Wohnzimmer jetzt ein Plattenspieler mit zwei Kisten voller LPs: Sonic Youth, Belle and Sebastian, Michael Jackson, Elvis. Im Kinderzimmer gibt es ein Stoffhaus, in dem zwei Dutzend Kuscheltiere wohnen, und wo früher das Babybett stand, ist nun ein Kinderbett – die Betten sind mit den beiden Mädchen gewachsen. Vor drei Jahren waren wir das letzte Mal hier, jetzt tauschen wir mit der Familie, die wir so mochten, noch einmal unsere Wohnung: Berlin gegen Paris, Prenzlauer Berg gegen das 18. Arrondissement. Erst finden wir das richtige Stockwerk nicht, das erste links, oder?, nein, das zweite, oder doch das dritte? Es stehen keine Namen an den Türen, also geht er zurück ins Erdgeschoss und klingelt, bis wir die richtige Wohnung finden. Als wir die Tür öffnen, fühlt es sich wieder ganz vertraut an, ein schönes Gefühl, das in den nächsten Tagen noch wachsen wird. Unser Lieblingsbäcker gleich gegenüber, wenn man zum richtigen Zeitpunkt kommt, ist das Baguette noch warm. Das kleine Karussell vor der Metro-Station, nach der Hälfte der Fahrt lässt der Besitzer eine Stoffmaus an einer Leine über die Pferde und Kutschen fliegen, bis ein Kind es schafft, sich ihren Mäuseschwanz zu schnappen – dann darf es die nächste Runde kostenlos fahren. Am dritten Tag schafft Fanny es endlich und kann vor Freude kaum sitzen bleiben. Der Spielplatz mit dem Brunnen, unten spielen die Kleinen, geht man die Treppe hinauf, gibt es noch einen zweiten Spielplatz für die Großen. Setzt man sich auf die Bank neben der Sandkiste, kann man die Spitze von Sacré-Cœur sehen. Der Supermarkt die Straße hinunter, nach ein paar Tagen hat jeder von uns seine Lieblinge: Orangina für ihn, Carambar für sie (die hab ich schon als Kind gemocht und es stehen noch immer Sprüche im Papier), für mich: Crême fraîche, Himmel, diese Crême fraîche, würde man eine Badewanne mit ihr füllen, man würde in ihr nicht untergehen. Geht man den Berg hoch, immer Sacré-Cœur entgegen, ist da plötzlich eine Allee, mitten in der Stadt. Wie hat Fanny das gesagt? „Paris ist so schön, dass es im Bauch kribbelt.”
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