Er und ich (und das beste Essen meines Lebens)

Ich weiß nicht, ob er mir angemerkt hat, wie sehr die letzte Woche mich geschafft hat, die Windpocken, der Fünfstunden-Marathon beim Zahnarzt, die Zahnschmerzen danach, die schlaflosen Nächte, meine Gereiztheit ihm gegenüber, was ist eigentlich so verdammt schwer daran, einen Teller zu benutzen, wenn du dir ein Brot schmierst, musst du wirklich die ganze Wohnung vollkrümeln, benutzte Kaffeebecher kann man übrigens auch in die Spülmaschine stellen und dein Kind braucht eine frische Windel oder bin dafür nur ich zuständig? Ach Liebling, sagte er nur, in diesem Tonfall, bei dem ich immer ganz wehrlos werde, weil er so weich und warm und immun ist gegen meine Rumätzereien, nächsten Donnerstag führ ich dich aus.

Heute dann so aufgeregt gewesen, als wäre es unser erstes Date, stundenlang vorm Spiegel gestanden und überlegt, was ich anziehe, Parfüm aufgetragen und Lippenstift, und dann noch einmal umgezogen und Kolibriherzflattern gehabt, nach all den Jahren, doch wirklich. Direkt vorm Losgehen dann noch die Hose mit Süßkartoffel-Brei überzogen, mich aber so gefreut, dass ich sie einfach angelassen habe. So aufgeregt. Und schrecklich traurig, als wir dann wirklich zur Tür rausgingen, ohne das Kind, ich bin keine Scheißmutter, wenn ich einen Abend ausgehe, neinneinnein. Dochdochdoch. Und was, wenn sie jetzt den ganzen Abend weint. Oder nicht schlafen kann. Oder sich ganz schrecklich allein fühlt ohne ihre Herde. Und er. Nimmt meine Hand und sagt, wie sehr er sich auf den Abend freut. Sagt, wie sehr ich sein Überraschungs-Restaurant lieben werde. Sagt, es ist okay, wenn du gehst, es ist okay, wenn wir gehen, bei mir ziept es gerade übrigens auch ganz furchtbar. Und die Ergriffenheit, die mich in solchen Momenten packt, wenn ich weiß: Der ist es wirklich. So sehr, so richtig, so alles. (So kitschig, muss auch manchmal sein).


Und jetzt liege ich im Bett, um zwei Uhr morgens und kann nicht schlafen, weil ich so glücksgeflutet und überwältigt bin, von diesem Abend, von ihm, von diesem Restaurant. Das "Reinstoff" in Berlin-Mitte, das Restaurant von Daniel Achilles. Ein schicker, moderner, gemütlicher Laden. Ein herzlicher, flexibler (bitte nichts, was aus dem Meer kommt), perfekter Service. Was nicht die geringste Rolle spielt, sobald man hier zu essen beginnt, denn ab diesem Moment wird alles unwichtig, der Raum, der Tag, die Woche, die Müdigkeit, die Zahnschmerzen. Jetzt weiß ich auch, warum dieser Laden "Reinstoff" heißt. Alles verschwindet und ist nur noch Geschmack. Das streitende Paar am Nebentisch, eben noch laut, jetzt plötzlich ganz leise. Geschmack, Geschmack. Weißer Spargel mit Kräutermilch und Wurzeln vom Weinberglauch. Gänseleber mit Holznoten der Eiche und Akazie. Rehrücken mit Rapsknospen und Ritterlingen. Als hätte jemand meine Geschmacksknospen aufgedreht. Eine Saubohne, die im Mund explodiert wie eine Silvesterrakete. Die köstliche Bitternis der Petersilienblüten. Bei der Basilikumcreme bilde ich mir plötzlich ein, Farben schmecken zu können, grün, dunkel, nein, lindgrün. Er gibt mir eine Gabel von seinem Heilbutt, und ich esse widerstandslos, ich, der allergrößte Fisch-Phobiker dieses Planeten, und erwische mich dabei, wie ich noch mehr will, so saftig und elegant, fast schon süß neben den erdigen Morcheln. Was ich an all dem vielleicht am unglaublichsten finde: kein Geschmack steht dem anderen im Weg, keiner drängelt sich vor, jeder hebt den anderen auf die Bühne. Und die Desserts. Der Minztee. Creme mit Karamellkruste. Ein winziger Kuchen aus Zuckererbsen. Hier und heute: das beste Essen meines Lebens. Ein Essen, das mir Gänsehaut macht, vier Stunden lang. Und er und ich und am Ende dieses unglaublichen Abends dann auch noch sie, ganz warm gekuschelt vom Babysitter. Einer dieser Abende, an die man bloß denken muss, auch noch in zehn Jahren, und einem wird warm.

Restaurant Reinstoff Berlin, Edison Höfe Berlin Mitte, Schlegelstr. 26c, 10115 Berlin, Reservierung: 030 - 30 88 12 14, reservation@reinstoff.eu.


10 Kommentare:

  1. so ein wunder-wundervoller text, der mir die tränen in die augen treibt. du schreibst so gut. ich freue mich für dich!

    eva aus hamburg

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  2. Oh, ohhh. Danke, liebe Eva. (Du glaubst ja gar nicht, wie sehr ich mich über solche Kommentare freue!). Schönes Wochenende!

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  3. Wie wundervoll. Er, sie und du. Du hast es verdient. Jetzt und immer.
    Alles Liebe von Imanii's Mama

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  4. wunderbar. diese geschmacksbeschreibungen! wirklich, wirklich toll beschrieben. wie großartig du jedes einzelne bestandteil der gerichte beschreiben kannst und diesen abend und die gefühle ... das ist absolut entzückend! eine schöne zeit euch dreien!

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  5. Du hast eine Gabe Texte zu schreiben: Unglaublich! Ich bin schon wieder hin und weg und weiß jetzt, Ihr seid das tollste Paar und die tollsten Eltern dieser Welt. So schön.

    Bitte, bitte schreib ein Buch. Egal über was, aber schreib eines. Ich will es lesen!

    Liebste Grüße, Sindy

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  6. Liebe Ms Fisher, Du hast mir heute wirklich den Tag verschönert, danke dafür und für das unglaubliche Kompliment!

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  7. Liebe Okka -
    du kannst Bilder vor den Augen erschaffen, wenn du schreibst. Das ist nicht bloß ein Text, das ist wie ein gutes, ein sehr schönes Buch!

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  8. Alma, was für ein Kompliment! Vielenvielen Dank!

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  9. Liebe Okka,

    ich konnte jeden einzelnen Geschmack nachempfinden! Danke für die Inspiration ich geh nun kochen, mal sehen was es wird ... =) vielleicht Fisch?
    Naja und wenn du tatsächlich ein Buch schreiben würdest, hättest du mit mir einen weiteren Leser gefunden ;)

    viele Grüße

    DR

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