Da ist diese Frau. Sie macht die Tür auf und umarmt einen fest, fester, als man das bei ihr erwarten würde. "Setz dich zu mir in die Küche", sagt sie, "ich koche gerade." In der Küche riecht es nach Pizza, nein, nur so ähnlich, es duftet herrlich, aber Pizza ist das nicht. "Was hast du da im Ofen", frage ich. "Feuilleté mit Birnen", sagt sie, und bevor ich fragen kann, was denn nochmal ein Feuilleté ist, grinst sie schon, als wäre das Wort irgendwie albern: "Blätterteig mit Ziegenkäse und jeder Menge Thymian. Schmeckt gut", sagt sie, "willst du ein Bier?" Sie kocht so nebenbei, dass man es fast gar nicht mitkriegt. Drückt den Teig auf das Blech und schlägt die Ränder um. Bestreicht den Teig mit Ziegenfrischkäse, als hätte sie es schon hundertmal gemacht (was wahrscheinlich daran liegt, dass sie es schon hundertmal gemacht hat). Schält die Birnen, nimmt sich ein Stück, schneidet die Birnen in dünne Streifen, legt sie auf den Teig, nimmt sich ein paar Zweige Thymian, riecht kurz, aber energisch an ihnen, zupft sie ab und verstreut das Grün auf all dem Weiß. Gerade als sie das Blech in den Ofen geschoben hat, klingelt auch schon der Wecker – vielleicht verging die Zeit auch schnell. Sie holt das Blech aus dem Ofen und tropft ein bisschen Honig darüber, "mehr", sage ich, und sie tropft noch ein bisschen mehr darüber, dann schneidet sie das große Stück in sechs kleine. Ich nehme einen Bissen. Und noch einen. Ich höre auf zu reden. Die saftige Birne, der knisternde Blätterteig, der Ziegenfrischkäse, mild, aber nicht langweilig, der Thymian, mein Lieblingskraut, diese Ahnung von Honig. "Gut?", fragt sie und ich stöhne, es klingt albern, aber das macht nichts. Dann reden wir. Über das Leben, Jobkram, Bücher, Klamotten, Fernsehserien, Müdigkeiten.
So ungefähr ist Elisabeth Raether, ich kenne sie ein bisschen und habe ihr tatsächlich schon mal beim Kochen zugesehen. Sie kocht mit einer Überzeugung und Gelassenheit, die eine Küche mit Wärme füllt. Aber das wüsste ich auch, wenn ich nur ihr Kochbuch gelesen hätte. Das ist auch etwas Schönes an ihr: Man kann dem, was sie macht, ablesen, wie sie ist, das hat man ja nicht oft. Elisabeth Raether schreibt seit drei Jahren eine wunderbare Kochkolumne für das Zeit-Magazin. Wunderbar, weil sie richtig gut schreibt, weil sie schöne und schlaue Gedanken hat ("Petersilie ist ein Kraut, das praktisch zu allem passt, zu jedem Fleisch, zu jedem Gemüse, zu jedem anderen Kraut. Gegen kein Aroma wehrt sich die Petersilie. Aber es ist leider so: Wenn man es jedem recht macht, wird man irgendwann übersehen. Undankbare Welt. Dabei hat vor allem glatte Petersilie einen schön kräftigen, leicht bitteren Geschmack (...)." Wunderbar, weil ihre Rezepte jeden Aufwand scheuen, dabei aber schmecken, als hätte man sich mächtig ins Zeug gelegt. Man könnte diese Rezepte Angeber-Rezepte nennen, weil man mit ihnen super angeben kann, aber das wollen sie gar nicht, sie wollen bloß schmecken. Wunderbar, weil diese Rezepte ihre Zutaten auf eine Weise ehren, die ich schön finde. Es werden nicht sonderlich viele Zutaten verwendet, aber jede hat ihren Sinn, ihren Platz, ihren Geschmack, ihren Auftritt. Wie der gebackene Chicorée mit Parmaschinken. Oder der gegrillte Radicchio mit Walnüssen und Ziegenkäse. Oder der Coq au vin. Oder eben dieser Blätterteig mit Birne, Ziegenkäse und Thymian. Außerdem mag ich, mit welcher Souveränität sie schreibt. Nein, das Rezept für Blätterteig verrät sie nicht, den kann man nämlich kaufen und in der gesparten Zeit lieber ein Buch lesen. Oder wie sie selbst in der allerersten Kolumne dieses Kochbuches schreibt:
"Hier werden keine Wasserbäder gemacht, es wird nicht flambiert und nicht nappiert. Man könnte das den minimalistischen Ansatz nennen, wahrscheinlich ist es aber schlicht Küchenfaulheit. Das bedeutet zum Beispiel, dass praktisch jedes Gemüse, das es gibt, bei uns einfach in den Backofen gesteckt wird, aus dem es nach kurzer Zeit in eine Schönheit verwandelt wieder hervorkommt."
Wunderbar. Wirklich. Dieses Rezept auch.
FEUILLETÉ MIT BIRNEN UND ZIEGENKÄSE (für 2-3 Personen)
1-2 Birnen (das Originalrezept verlangt nur nach einer, ich nasche immer, deshalb: zwei)
200g tiefgekühlter Blätterteig (ich habe eine Blätterteigrolle aus dem Kühlregal genommen)
100g Ziegenkäse (Frischkäse oder Ziegencamembert)
Ein paar Zweige Thymian
2 TL Honig, Salz und Pfeffer
Den Ofen auf 210°C vorheizen.
Den aufgetauten Blätterteig auf ein Blech mit Backpapier legen.
An den Rändern ca. einen Zentimeter einschlagen.
Den Ziegenfrischkäse direkt auf den Blätterteig streichen, nimmt man festeren Käse, zerbröckelt man ihn und gibt die Stückchen auf den Teig.
Die Birnen schälen, in dünne Scheiben schneiden und auf dem Käse verteilen.
Die Thymianblätter von den Zweigen lösen und auf dem Käse-Birnen-Belag gleichmäßig verteilen.
Salzen und pfeffern.
Etwa 15-18 Minuten goldbraun backen.
Vorm Servieren noch etwas Honig darüber geben.
"Wochenmarkt – Die frischen, einfachen Rezepte aus dem Zeit-Magazin" von Elisabeth Raether, Bloomsbury Berlin, 19,99 Euro.
"Wochenmarkt – Die frischen, einfachen Rezepte aus dem Zeit-Magazin" von Elisabeth Raether, Bloomsbury Berlin, 19,99 Euro.
... eigentlich wollte ich auf dieses Kochbuch verzichten, hab doch schon so viele - eigentlich! Jetzt lese ich Deinen schönen Text und nachher gehe ich in die Buchhandlung, das Kochbuch bestellen.
AntwortenLöschenSchönen Donnerstag
MO
Liebe Okka,
AntwortenLöschenich kommentiere echt selten, aber ich muss das jetzt einfach mal loswerden: Ich finde Dich großartig! Deine Art zu schreiben, das Leben zu nehmen, mit den Dingen umzugehen, ach, und überhaupt. Ich habe vor Kurzem Dein Buch gelesen und war begeistert. Genauso wie ich von Deinem Blog begeistert bin. Ich freue mich immer wenn ein neuer Beitrag online ist! Mach weiter so! Viele, liebe Grüße, Svenja
Moin liebe Okka, seit zwei Wochen wandert dieses Kochbuch gar nicht mehr zurück ins Regal. Mhhhhhhh - dieses Karoffelcurry.... Shakshuka - schon zweimal in dieser Woche..... Und abends lese ich mit richtigem Insbuchreinbuddeln dein Mutterseinbuch. Bei mir ist es schon 18 Jahre her, aber es kommen so viele Erinnerungen wieder hoch. Ich danke dir sehr für den Genuss, deine lebendige, wache und gefühlvolle Schreibe lesen zu dürfen. Liebe Grüße aus HH von Petra
AntwortenLöschenIch liebe die Zeit-Kolumne und ich glaube, dieses Buch muss ich haben :-) Minimalistischer Ansatz und Küchenfaulheit - genau mein Ding.
AntwortenLöschenLG von Sabine
Bei mir liegt das Buch seit zwei Wochen auf dem Küchentisch und wird immer wieder zur Hand genommen. Ich mag nicht nur die Gerichte, sondern auch wie sie von Elisabeth Raether so unterhaltsam beschrieben werden. Die ersten zwei habe ich schon nachgekocht und am Wochenende gibts French Toast! (oder doch lieber Feuilleté? Mal sehen ...). Liebe Grüße!
AntwortenLöschenObwohl ich gar nicht so viel kochen kann, wie bereits Merkzettelchen in all meinen Kochbüchern stecken, muss dieses Buch jetzt wohl auch noch ins Regal. Deine Beschreibung löst sofortigen Kaufzwang aus! Hach, in schönen Kochbüchern blättern und lesen und sich vorstellen, wie die Gerichte schmecken, ist pure Entspannung. Hab immer mindestens eins auf dem Nachttischstapel und auch als Urlaubslektüre dabei. Dein Blog ist einer meiner liebsten!
AntwortenLöschenHerzliche Grüße aus Hamburg, Dagmar
das klingt so wundervoll, liebe okka, dass ich gar nicht umhinkommen werde, mir – entgegen meinen entschluss, es bleiben zu lassen, weil ich ja doch nie daraus koche – wieder einmal ein kochbuch zu kaufen, dieses. und das rezept wird gleich heute abend probiert.
AntwortenLöschenunheimlich gut! das kochbuch brauche ich UNBEDINGT!
LöschenFrau Raether hat es mir auch angetan. So köstlich:
AntwortenLöschen"Bei Reynaud wird das Knochmark pur gegessen. Augen zu und durch. Nur der gute, alte Schnittlauch, der zu dieser Jahreszeit wieder üppig angeboten wird, hält einem dabei die Hand."
Hach, wer so Sätze schreiben kann.
Liebe Okka,
AntwortenLöschenich schreibe zwar auch beruflich, aber nur politisches. Ich beschäftige mich nur selten in meiner Freizeit mit Texten. Aber bei dir kann ich einfach nur Urlaub machen. Danke. Steffi
Das klingt ganz nach meinem Geschmack! Danke dafür.
AntwortenLöschenSchöne Grüße
Jutta
ja, ich kenne die zeit-kolumne..., sie macht solchen appetit, vielleicht ist es doch mal zeit für dieses kochbuch... gerade der minimalistische ansatz gefällt mir..., wo sich doch allein beim lesen schon der mögliche geschmack auf die zunge schiebt... lieben gruß ghislana
AntwortenLöschenWas für ein wundervolles Rezept. Simpel, aber schon vom Lesen weiß ich, dass es im Mund Samba auf der Zunge tanzen kann. Ich werde mir das Kochbuch wohl auch zulegen müssen. Gerade, weil ich auch gerne koche, aber eigentlich nicht zuviel Aufwand betreiben will. Alles, was länger als eine halbe Stunde Arbeit in der Küche verspricht, wird von mir verschmäht. Danke für diese Inspiration!
AntwortenLöschenÜbrigens kannst du morgen auf meinem Blog ein ähnlich raffiniertes Rezept finden. Vielleicht kann ich mich damit für den Stoß auf das Kochbuch von Frau Raether revanchieren. Schau doch einfach mal bei mir auf Nanna Nyx' Universum vorbei. Ich würde mich freuen.
Ein tolles Rezept - irre lecker. Und, ganz wichtig: umsetzbar mit Kleinkind (5) und Baby (6 Monate). Das Buch kommt auf meine Weihnachtswunschliste. Danke, liebe Okka.
AntwortenLöschenViele Grüße
Valea
Liebe Okka, danke, danke, danke! Gestern Abend habe ich das Rezept nachgemacht und mein Mann war hin und weg :-)
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