FAST


Der Erdbeerstand steht noch an der Ecke, aber er wartet nur darauf, abgeschleppt zu werden, die Ernte ist vorüber. Bald werden wir wieder Jeans tragen und dicke Pullover und die Sonne wird um acht Uhr verschwunden sein. Fast ist der Herbst da, ein paar Tage noch, höchstens Wochen.

Wie ich es mag, dieses Fast. Das Kurzdavor, das Gleich-geht-es-los, das Ein-paar-Tage-noch. 

Schon als Kind. Die ewige Autofahrt nach Dänemark, Stunde um Stunde, und irgendwann fuhren wir um diese eine Kurve und dahinter: die Dünen und der Fjord. Man konnte das Meer noch nicht sehen, wusste aber, dass es da ist. Die Aufregung im Theater, wenn das Orchester sich einstimmt und der Vorhang sich ein wenig bewegt, weil dahinter noch letzte Kleinigkeiten arrangiert werden. Instrumente, Gemurmel, Rascheln, dann plötzlich Stille. Wenn ein Text fast fertig ist. Alles, was gesagt werden sollte, steht schon da, in der richtigen Reihenfolge von Anfang bis Schluss, aber die Wörter müssen noch einmal poliert werden. Der letzte Tag vor dem Verreisen. Die Koffer schon vom Schrank geholt, aber noch nicht gepackt, dafür jede Menge Pläne im Kopf. Die Tage vor Weihnachten, das Plätzchenessen und Geschenkeüberlegen, das Kartenschreiben und Einpacken, die Vorfreude, in die sich noch keine Jahresendmelancholie mischt. Der Freitagabend früher, als wir noch eine Fernbeziehung hatten und er noch ein paar hundert Kilometer entfernt auf dem Weg zum Flughafen war. Gleich steigt er ein und fliegt los, jetzt ist er losgeflogen, nun landet er, in ungefähr 25 Minuten werde ich seinen Schlüssel im Schloss hören. Die letzten Tage der Sommerferien. Wie sich die Stadt wieder füllt. Wie die Mädchen sich alle wieder meldeten, hast du Zeit, wir wollen spielen. Und der allerletzte Feriensonntag ihrer allerersten Sommerferien, als wir die Schulsachen durchgingen, Stifte anspitzten, Radiergummis proberadierten, ab morgen bist du eine Zweitklässlerin, noch einmal schlafen. 

Und Hedis wackelige Gehversuche jetzt. Wie sie manchmal steht und vergisst, dass sie eigentlich noch nicht stehen kann, steht da und bemerkt es nicht, macht einen Schritt, setzt sich wieder hin. Und steht wieder auf, und versucht es noch einmal, mit Festhalten dieses Mal, ein Schritt und noch einer. Bravo, bravo, rufe ich und klatsche in die Hände, und sie lacht, und dann legt sie ihren Kopf ein bisschen schief und lacht so groß, dass man ihre beiden Zähne sehen kann. Manchmal kommt Fanny und nimmt ihre beiden Arme, stellt sich hinter sie, dann gehen sie zusammen, und Hedi guckt nach oben, ihre Schwester an, und stolpert fast, aber sie hält sie, dann gehen sie weiter, sehr wackelig, sehr stolz, Schritt für Schritt, bis zum Kühlschrank und zurück. Fanny hat keine Lust mehr, aber gut, noch eine Bahn und eine allerletzte. Fast.

16 Kommentare:

  1. Schön, wie du diese Momente beschreibst..und schön, daß du wieder da bist...ich mein..hier...

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    1. Ich freu mich auch total, hab das Bloggen vermisst. Jetzt geht´s endlich wieder los. Danke für deine lieben Worte. Hab noch eine schöne Woche!

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  2. Ach, wie schön, Du bist wieder da! Und Du kommst gleich mit einem Knaller-Text daher, der sich wieder sofort in mein Herz reinschleicht und mir´s da drinnen wohlig warm macht. Danke dafür. Ich wünsche Dir eine schöne Woche. Liebe Grüße, Elisabeth

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    1. Die wünsche ich dir auch, liebe Elisabeth, wie schön, wieder von dir zu lesen!

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  3. Und Dein neues Buch, das bald ausgeliefert wird und auf das ich mich schon soooooooooooooooooooo freue...
    Wie schön, dass Du wieder da bist.
    Herzliche Grüße
    Angela

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    1. Ich finds dermaßen verrückt, auch wenn ich ja weiß, dass es rauskommt.... vielleicht wird´s realer, wenn ich es mal in den Händen halten. Danke fürs Vorbestellen und Mitfreuen und überhaupt, liebe Angela!

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  4. Liebe Okka, ich lese den ein oder anderen Blog. Viele davon mag ich so gerne, lese sie regelmäßig, freue mich drüber und wische das Gelesene dann weg. Und dann ist da dein Blog. Ich lese und wische überhaupt gar nicht schnell weg, wenn ich zu Ende gelesen habe. Sondern habe den Text im Kopf, lese jeden Eintrag immer mehr als einmal, komme zurück. Schicke diese Textgeschenke (so nannte es eine Freundin) an Menschen denen ich dazu sage: 'Ich mag ihre Texte so so sehr.' Die Langsamkeit deiner Texte tut so gut. Es ist schön, dass du wieder hier bist. Mira

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    1. Liebe Mira, jetzt hast du mich aber voll erwischt mit deinen Worten. Ich danke dir und könnte mich gar nicht mehr freuen. Echt. Herzliche Grüße! Okka

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  5. Wie schön du diese Momente beschreibst... Hach.... Schön, dass du wieder da bist! Liebe Grüße, Kati

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  6. Liebe Okka,
    danke für das "Fast-Gefühl", ich hätte es beinahe vergessen und stattdessen die Abschieds-Wehmut-Platte aufgelegt: Bald ist der Sommer vorüber, bald ist meine zweite (und wahrscheinlich für immer letzte) Elternzeit rum, bald ist Schluss mit Zeit haben und Zeit verschwenden... Aber fast geht es wieder los: der Job, die Erwachsenengespräche, die gebügelten Klamotten, in denen man sich so viel eleganter fühlt als im Spielplatzlook. Fast beginnt wieder etwas Neues und bestimmt wird es gut sein.
    Nicole

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    1. Ha, da geht´s uns ja gerade ganz ähnlich, Nicole. Bei mir ist die Elternzeit auch fast vorüber, mich erwarten danach keine gebügelten Klamotten, ich sitze bloß wieder mehr an meinem Schreibtisch, aber mir geht´s wie dir: Bald ist diese verrückte Zeit schon wieder vorüber, bald beginnt der richtige Alltag. Aber irgendwie freue ich mich auch drauf und genieße das Fast, so gut es geht (bin natürlich trotzdem ein wenig bis sehr melancholisch). Wünsch dir und euch alles Gute für die nächsten Monate (und überhaupt)! Liebe Grüße! Okka

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  7. Liebe Okka,

    und ich freue mich, dass dein neues Buch fast erhältlich ist. Schön, dass du wieder da bist.

    Liebe Grüße,
    Maria

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  8. Liebe Okka,

    ich freue mich auch, dass ich dein neues Buch fast schon bei mir habe. Vorbestellt ist es und die Vorfreude groß! Liebe Grüße, Yvonne

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    1. Danke fürs Mit- und Vorfreuen, Yvonne - darüber freu ich mich wirklich sehr!

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