LONDON, SO WAR DAS


Irgendwie ging ziemlich viel schief an diesem Tag, es gab einen Streik in London und die U-Bahnen fuhren nur ausnahmsweise, es regnete, ich hatte einen dicken Hals. Und dieser Tag? Macht trotzdem, was er will, und ist von vorne bis hinten ganz einfach: wunderbar. Weil die Schlangen vor den U-Bahnen, die überhaupt noch fuhren, so unendlich lang waren, ging ich zu Fuß, den ganzen Tag, quer durch die Stadt. Und sah dabei Dinge, die ich sonst vermutlich nie gesehen hätte: Das Licht in diesem kleinen Park, als die Sonne mal für zwei Minuten kurz rausblitzte. Diese Gruppe alter Damen in knallroten Mänteln, laut lachend, überschwänglich, als würden sie gerade einen Junggesellinnen-Abschied feiern, aber vielleicht haben sie das ja auch. Der italienische Fremdenführer, der mich fragte, ob er mir helfen könnte, als er mich in die Karte gucken sah, und der mir nicht nur den Weg zeigte, sondern auch das hinreißendste Lachen, das man an einem Regentag überhaupt nur haben kann.

Die Ausstellung über Isabella Blow im Somerset House war nicht ganz so toll, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber immer noch toll - auch weil mitten in dieser Ausstellung in irrsinniger Lautstärke auf einer großen Leinwand in einem dunklen Raum die Alexander McQueen-Show von 2008 gezeigt wurde. Ich sah sie mir an, einmal, zweimal, dreimal, eine Frau setzte sich neben mich und stand auch nicht auf, lange hat mich Mode nicht mehr so gerührt. Gerührt hat mich auch einer von Isabella Blows Lippenstiften, einfach bloß durch sein noch da sein, in einem dunklen, sehr dramatischen Rot, schon ganz abgenutzt. (Die Dinge, die bleiben, wenn die Menschen schon gegangen sind).

Der Frühstücksburger bei Shake Shack, eine Erinnerung an unseren Sommer in New York, gerade als ich reinbeißen wollte, fing ein älterer Mann hinter mir plötzlich an, Opernarien zu singen, erst leise, noch ein bisschen schüchtern, dann sehr laut und mit ordentlich Vibrato, eine Gruppe von Schulmädchen in grün-schwarz karierten Schulmädchen-Uniformen, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, blieb mit ihrer Lehrerin stehen, und war genauso begeistert und verkichert über diesen unverhofften Auftritt wie ich. (Schon seltsam, dass einem diese Art Staunen eigentlich immer nur in fremden Städten einfällt). Danach eine Stunde in den Gängen von Whole Foods umhergegangen (er lacht immer über meine beknackte Leidenschaft für Supermärkte, aber es macht mich ehrlich glücklich, mir Lebensmittel anzusehen, die ich vorher noch nie gesehen habe, einen riesigen Berg Schokoladen-Baisers oder Erdbeer-Fruchtrollen mit einem Bär vorne drauf, von dem ich sofort wusste, wie sehr er Fanny entzücken würde). Eine Frau malte mit einem dicken Stift energische Herzen auf die Kühlschrank-Türen und summte dabei, ist ja bald Valentinstag.

Rumgebummelt, wie ich es zu Hause eigentlich nie tue, wenn immer noch etwas zu erledigen, zu machen ist, mit großer Ausführlichkeit und Zeitlosigkeit. Am Ende mit dem Bus, den mir der Fremdenführer gezeigt hatte, nach Notting Hill gefahren, zum Restaurant von Yotam Ottolenghi. Einen Teller geröstete Auberginen mit Nüssen und Joghurt gegessen und hinterher einen Käsekuchen mit karamellisierten Macadamianüssen, ein schöner, kleiner Ort ist das, das Ottolenghi-Deli in Notting Hill, einer dieser Orte, die man gerne mit nach Hause nehmen würde, um sie in der eigenen Nachbarschaft wieder auszusetzen. Im Zug zum Flughafen die Mini-Baisers gefuttert, die ich mir für zu Hause mitgenommen hatte, nicht rausgefunden, wonach genau sie schmecken, Johannisbeere?, Rose? beides?, gut jedenfalls, sehr gut. So war das.

Was ich mochte:
* Ottolenghi, 63 Ledbury Road.
* Daylesford, 208-212 Westbourne Grove.
* Space.NK, 127-131 Westbourne Grove.
* Whole Foods, 20 Glasshouse Street.
* Liberty, Regent Street.
* Shake Shack, Covent Garden, 24 Market Building.
* Isabella Blow im Somerset House.


25 Kommentare:

  1. Das klingt nach einem wunderbaren Tag, Okka, was aber auch daran liegt dass du (glaube ich) ein Mensch bist, der selbst an einem Regentag ohne Ubahn noch die wunderschönsten Sachen sieht, der das Gute im Nebel findet. Solche Menschen braucht es viel mehr, Menschen die nicht meckern weil es regnet, sondern den Mantelkragen hochschlagen und sich über Gummistiefel freuen,

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    1. ...jetzt hab ich Gänsehaut, wie lieb von Dir. Aber ich schwöre: das wäre jedem so gegangen. Liebe Grüße und gute Nacht!

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  2. Liebe Okka, Du schreibst so unheimlich schön, jedes Mal aufs Neue. Ich könnte immerzu weitelesen - hab Dank dafür!
    PS: Supermarktliebe und die Verwunderung darüber- ich weiß genau, was Du meinst. :)

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    1. Oh, ich sag: Danke! (Und freu mich auch sehr, mit meinem Supermarkt-Tick nicht allein zu sein...). Schlaf gut!

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  3. Hach, Okka, ich könnte Dir stundenlang zuhören! Und dann erzählst Du auch noch von meiner Lieblingsstadt ... wunderbar!

    Liebe Grüße,

    Isabelle

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  4. ��
    Riesen Tag heute.
    Schön, dich zu lesen!
    ��, N

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  5. Oh, wow. Es ist wirklich ein Wahnsinn, wie Du schreibst. Ich freue mich schon auf den kommenden Herbst ;o)
    Schöne Grüße!
    Mailis

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  6. hhhhhhhhhhhhhhhhaaaachhhh...
    sagte sie, als sie diesen wunderschönen text zu ende gelesen hatte
    ;-)
    yours, eva

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  7. Es ist so schön, einen ganzen Tag durch eine wunderbare Stadt svhkendern zu können und einfach nur zu genießen. .. und Dein Tag hört sich sehr nach Genuss an :)

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  8. Danke, dass du mich für kurze Zeit in mein Lieblingsstadt (nach New York) mitgenommen hast. Den Regen habe ich vor lauter Glück nicht bemerkt!

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  9. Liebe Okka, ich find das so wunderbar! Für einen Tag nach London. Das ist Carpe Diem in Höchstform!
    Liebe Grüße
    Iris

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  10. Liebe Okka,
    das klingt für mich nach einem perfekten unperfekten Tag und vor meinem Augen blinken gerade große Leuchtbuchstaben auf, die mir sagen: NACHMACHEN!
    xx
    Jenny

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  11. Oh, klingt das wunderbar..
    Liebe Grüße,
    Alicia

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  12. Ich teile deine Leidenschaft für Supermärkte auch :D Dein Tag klingt wunderbar. Danke fürs Teilhabenlassen. Liebe Grüße!

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  13. Ach Okka, wie wundervoll.....ich sitze hier im Krankenlager, halte mich an Deinen großartigen Tipps fest (wie "Dear Sugar" abends im Bett, Zimtschnecken und Frühlingsrollen, die mich auch süchtig machen) und denke mir: wie großartig - Okka gönnt sich einen Tag nur für sich. Super!!! Und vielleicht mach ich das auch bald, wenn sich die Halsschmerzen endlich schleichen, das Kind wieder in die Krippe kann und der Termindschungel nicht ganz so dicht ist. Du berührst mich immer wieder....Liebste Grüße aus München, Josefine

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    1. Liebe Josefine, ich wünsch Euch gute Besserung und ganz viel Kraft, solche Tage haben es ja wirklich in sich. Alles Liebe! Okka

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  14. Jetzt muss ich den ganzen Tag an Baiserberge denken ...

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  15. Liebe Okka, wie Du Gefühle und Eindrücke in Worte fassen kannst, so wohltuend und ganz wunderbar!Ich lese gerade ein Buch, das diese Stimmung mitträgt und kurioserweise in London spielt, "Alice wie Daniel sie sieht" von Sarah Butler, erscheint im März.
    Dankeschön :)
    Angela

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  16. liebe Okka, ich träume. Und ich danke dir fürs Nach-London-Entführen! Diesen Sommer will ich endlich auch mal in diese Stadt abtauchen und mich treibenlassen. Supermärkte dürfen dabei übrigens bei mir auch nicht fehlen! ;) Liebe Grüße zu dir und ein Hoch aufs Ein-Tages-Aussteigen! Theresa

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  17. Liebe Okka,
    danke für deine wundervollen Reisezeilen. Es ist, als wäre man dabei gewesen.
    Ich glaube man geht durch fremde Städte einfach mit offeneren Sinnen. Vielleicht sollten
    wir unsere Heimatstadt auch mal als "Fremder" besuchen ... wir würden viel Neues entdecken ...
    Supermärkte in anderen Ländern üben auch auf mich eine große Anziehungskraft aus. Die meisten Souvenirs kann man bei mir essen ;-)

    Liebe Grüße
    Lisa

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  18. Hi Okka, meine Vorschreiberinnen haben schon viel geschrieben, von dem was ich fühle: wenn es einem gelingt nicht eingetroffene Erwartungen zu ignorieren und das Jetzt zu Leben und Geniessen heißt man wohl Okka und schafft es immer wieder viele Leute zu begeistern und zum Staunen zu bringen. Mach weiter so: Du bist eine tolle Frau. Kristina

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  19. Hi Elisabeth, könntest Du so lieb sein und mir Deine Emailadresse schicken - ich würde Dir gerne kurz etwas schreiben, habe aber leider keine Email von Dir? Dankeschön! Liebe Grüße und gute Besserung! Okka

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  20. Fremde Supermärkte sind soooo toll. Als ich in Warschau gelebt habe, bin ich super gerne einkaufen gegangen, weil es ziemlich viele andere Sachen gegeben hat. Auf Madeira wunderten wir uns, dass es so unglaublich stink im Supermarkt (getrockneter Fisch - ziemlich eklig), kauften dafür unendlich leckere Pastei de Nata... Du bist nicht alleine, nur der Unterschied, mein Mann teilt sogar die Leidenschaft für Supermärkte...

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  21. Oh Okka, Deine Texte sind wahre Geschenke. Ich hatte auch mal so 2 Tage in London, als mein erstes Kind etwa 3 war. Bin trotz Stirnhöhlenentzündung hingeflogen um Jude Law in Hamlet zu sehen und am zweiten Tag Ethan Hawke in einem Tschechow-Stück. Und habe im Ernst vor lauter Rumbummeln und Aufsaugen und Geniessen und das Kopfweh vergessen den Anfang von Hamlet verpasst!! Wurde beim Lesen sofort in diese zwei herrlichen Tage zurückversetzt.

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  22. Was für ein schöner Beitrag. Ich habe das Gefühl, als sei ich dabei gewesen. Warst Du ganz alleine dort unterwegs....? Ist vielleicht sogar besser, denn dann kann man sich wirklich DAS ansehen, was einen selbst interessiert und muss keinerlei Rücksicht auf andere nehmen.

    Obwohl ich schon zweimal in London war, war ich noch nie im Liberty (da muss ich UNBEDINGT mal hin). Was mich auch mal sehr interesseiren würde: hast Du bei Ottolenghi sofort einen Tisch bekommen, oder hattest Du reserviert?

    Nur schade, dass das Wetter nicht so mitgespielt hat. Doch es gibt da so einen schönen Spruch:
    "A bad day in London is still better than a good day anywhere else"

    Schön, dass Du uns hast teilhabenn lassen.

    LG Sue

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