Am Ende


Ich wünschte, ich würde es nicht so persönlich nehmen. Nicht darüber nachdenken, immer noch, Wochen später, man kann über Dinge doch immer geteilter Meinung sein. Auch übers Kinderkriegen. Wäre es okay für dich, wenn wir das Thema Schwangerschaft unter den Tisch fallen lassen, hatte sie mir damals geschrieben. Die Leserin hätte mich als eine Frau kennengelernt, mit der sie sich absolut und total identifizieren kann. Ich bin irritiert. Schreibe zurück, dass ich nicht verstehe, warum ich nicht über meine Schwangerschaft schreiben darf oder darüber, Mutter zu werden. Ich schreibe, dass ich ohnehin nicht vorgehabt hätte, fortan nur noch von Beißringe, Bäuerchen und Brustwarzenentzündungen zu berichten und dass ich im Jahr 2010 durchaus von der Vereinbarkeit von Frausein, Kinderhaben und Coolness überzeugt bin. Wir telefonieren. Mal ehrlich, sagt sie am Ende, wenn man erstmal Kinder hat, ist das Leben nun einmal vorbei.
Sie hat sogar recht damit. Seit ich weiß, dass ich schwanger bin, ist eigentlich nichts mehr so wie es war. In den vergangenen neun Monaten habe ich ungefähr 47 Mal geheult. Weil es draußen geregnet hat. Weil mir meine schwarze Schwangerschaftsjeans nicht mehr passt, die einzige, die einen wirklich guten Arsch gemacht hat. Weil ich so gerührt war, als Baby in meinem Bauch zum ersten Mal Schluckauf hatte. Ich bin müde, eigentlich andauernd, und kann trotzdem nicht anständig schlafen. M. und ich treffen uns nicht mehr im Bird auf einen Burger, sondern bei mir zu Hause auf dem Sofa. Mit den Babysachen, die ich in den letzten Monaten gekauft habe, könnte ich problemlos eine Säuglingsstation einkleiden, was mich selbstverständlich nicht daran hindert, Baby noch ein drittes Ringelshirt zu kaufen – per Onlineshopping, dann muss ich mich nicht mehr als nötig bewegen. Ich nenne mich selbst fetter Wal und denke drei Tage darüber nach, ob meine Frauenärztin recht hat, wenn sie sagt: mehr als 20 Kilo sollte man in einer Schwangerschaft nicht zunehmen, die Kilos, die nach der Geburt übrig bleiben, wird man so schnell nicht wieder los. Ich höre trotzdem nicht damit auf, jeden Tag etwas zu kochen, ich habe eigentlich nie gekocht, jetzt kann ich nicht mehr genug davon kriegen. Gestern hat er mir eine Küchenmaschine geschenkt, einfach so, eine Multifunktions-Präzisionsmaschine, die alles kann und ich hätte beinahe schon wieder geheult. Manchmal träume ich davon, eine zu rauchen, und wache auf und habe ein schlechtes Gewissen.
In der Küche haben wir eine Tafel, auf der wir die Tage bis zum Geburtstermin herunter zählen, als wir damit angefangen haben, waren es 98 Tage. Jetzt sind es noch 21 und jeden Morgen, wenn ich wieder eine Zahl wegwische und eine neue hinschreibe, kriege ich ein bisschen Angst. Wie wird das sein in den nächsten Monaten, so ganz ohne Arbeit? Wird mir manchmal ganz sagenhaft langweilig sein? Werde ich eine gute Mutter sein oder all die Fehler wiederholen, die mich an meiner Mutter immer in den Wahnsinn getrieben haben? Werden wir es wirklich hinkriegen, mit Baby einen Monat in Paris zu leben? Werden wir es hinkriegen, so verknallt zu bleiben wie jetzt, so Paar? Haben andere Frauen eigentlich auch solchen Schiss vor der Geburt? Werde ich mein altes Leben vermissen? Oder wird es so sein wie mein Freund A. mir letzte Woche sagte: Du wirst dir gar nicht mehr vorstellen können, wie es ist ohne ein Kind, egal wie müde und genervt und durch du bist? Dann fängt Baby an zu treten, als könnte es hören, was ich denke, tritt und tritt und klemmt ein Knie unter meine Rippe bis ich kaum noch Luft bekomme. Und die Angst ist weg und ich bin so fragezeichenlos glücklich wie vielleicht noch nie in meinem Leben – in meinem Leben als Frau, mit der man sich identifizieren kann.

4 Kommentare:

  1. Liebe Okka,
    ich habe an einem Abend nun deinen gesamten Blog durchgelesen und bin einfach begeistert. Deine Art zu schreiben ist zauberhaft, du wirkst wie ein besonderer Mensch und gleichzeitig ganz normal. Die richtige Mischung aus Mode, Einrichtung und Kind, einfach wie das Leben! Hach. :)
    Liebste Grüße!

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  2. Liebes Septemberherz,
    Du bist ja wahnsinnig, Du hast Dir das wirklich alles durchgelesen? Jetzt bin ich ein bisschen verlegen und freu mich sehr, der allererste Kommentar zu meinem allerersten Text, den ich damals mit soviel Herzklopfen online gestellt habe. Danke. Liebste Grüße zurück.

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  3. Oh, ich lese deine Antwort ja erst jetzt.. Ja, alles durchgelesen, nahezu verschlungen :) Der allererste Text ist einfach etwas Besonderes!
    Liebste Grüße.

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  4. Es freut mich sehr, diesen Anfang gelesen zu haben und damit den direkten Vergleich zu "20 Monate später".
    Und bin einer Meinung mit septemberherz.
    Beste Grüße von Nina

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