SPAZIERGÄNGERIN



Liebe Fanny,

ich will Dir schon so lange schreiben und kriege es irgendwie nicht hin, weil alles, was ich Dir gerade schreiben könnte, so sentimental ist, dass ich Dir ganz furchtbar peinlich sein werde, wenn Du das hier liest. Die Wahrheit ist: Ich würde gerade gerne mit Dir durchbrennen. Abhauen, mir egal, wohin. Das ist natürlich totaler Quatsch. Erstens könnte ich Dich niemals wecken, so hinreißend wie Du gerade schläfst (auf dem Bauch, den Po nach oben, wie kann man so schlafen? Und wie kann man noch im Schlaf so entzückend sein?). Zweitens würde das leider auch nichts bringen, wegrennen will ich nämlich nur vor einem, vor der Zeit, die es so eilig hat. Kaum zu glauben, wie groß Du in den letzten Wochen geworden bist, Fanny. Du hast angefangen zu sprechen, Mama, Papa, Mapa, wenn du uns beide meinst, da, app, für alles, was oben ist, und natürlich: nein, Dein Lieblingswort. Wenn Du müde bist, schnappst Du Dir eine Milchflasche und ein Buch und legst Dich ins Bett. Du willst alles, aber auch wirklich ALLES alleine machen, Dein Brot schmieren, Dein Bobbycar schieben, Dich anziehen und ausziehen, Deine Haare kämmen, Dein Abendessen auswählen, und Du wirst sauer, richtig sauer, wenn man versucht, Dir zu helfen. Du verabschiedest Dich jetzt mit einem Luftkuss. Du tanzt am liebsten auf dem Arm von Deinem Papa, ein wilder Sitztanz, Euer Tanz, Euer Ritual. Seit gestern magst Du nicht mehr im Kinderwagen sitzen, Du magst gehen, über Nacht eine Spaziergängerin. Ach, die Zeit. Kaum bist Du klein, bist Du schon groß. Versteh mich nicht falsch: es ist wundervoll, Dir beim Großwerden zuzusehen, ich weiß nicht, wie Du das anstellst, aber irgendwie wird es immer noch ein bisschen schöner mit Dir, jeden Tag. Manchmal, wenn ich Dir zusehe beim Wachsen, Dir zusehe, wie Du in Deinen kleinen Mokassins die ganze Straße hinunter spazierst, gleich neben Deinem Papa, meine beiden großen Lieben, dann kann ich kaum glauben, dass Du wirklich meine Tochter bist. Und ich Deine Mama. Es ist so wunderbar. Und so scheißverdammt schmerzhaft manchmal. Ich war auf vieles vorbereitet, Fanny, nur nicht darauf, Abschied zu nehmen, immer wieder, jeden Tag ein bisschen. Seit gestern gehst Du richtig in die Kita. Es gibt hundert gute Gründe dafür und es ist eine sehr schöne Kita und Du freust Dich schon beim Aufstehen und es ist wichtig, loszulassen, ich weiß, ich weiß. Und trotzdem. Ich vermiss Dich schon noch während Du mit uns am Frühstückstisch sitzt. Natürlich weiß ich, wie bescheuert das ist. Mein Kopf kann all die guten Argumente schon sehr gut auswendig, so oft, wie er sie in den letzten Tagen wiederholt hat. Aber da ist noch etwas, mit dem ich nicht gerechnet habe, das Mutterherz, das blöde, das noch nicht bereit ist. Wie wird es erst sein, wenn Du mal durchbrennst, Fanny, mit einem Jungen, mit einem Mädchen, mit Deiner ersten großen Liebe, nach Frankreich, an die Nordsee, nur weg von Zuhause, egal wohin? Und sag jetzt nicht, ich hätte Dich nicht gewarnt, kleines Fännchen, Spaziergängerin.

Deine Mama

45 Kommentare:

  1. Oh ja, die Zeit. Sie rast von Tag zu Tag. Es ist schön, wird immer schöner und doch will man sie anhalten. Die Zeit. Und manchmal auch zurückdrehen...
    Schön hast du das beschrieben, Okka. Mir ein Stückchen aus dem Herzen.

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  2. ohhhh okka... jetzt hast du mich (kurz vorm schlafengehen) nochmal richtig berührt! wie schön du das schreibst, das ist einfach wunderbar... und auf eine art kann ich richtig mitfühlen, obwohl ich (noch) keine mama bin ;o) och okka... es ist so schön, dass es dich hier gibt, wegen genau solchen texten schau ich jeden tag auf deine seite und hab dich wirklich die letzte zeit echt vermisst!!! bonne nuit!!!

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  3. ein super süßes, rührendes video. die kleinen schlenker, die sie manchmal einbaut. der zum papa hochgereckte rechte arm... mokassins trägt sie? ich auch.

    liebste grüße durch die frühlingsnacht,

    eva

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  4. heul...
    was für ein wunderbarer Brief!

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  5. Liebe Okka,

    (schön, dass alle wieder gesund sind! Habe vermisst, Dich zu lesen:)
    heute genau vor einer Woche, habe ich David geboren. Und jetzt liegt er neben mir, schon 200 gramm schwerer. Er wird größer, ich freue mich drauf, er wird sicher immer noch entzückend und süß und wir noch verliebter in ihn sein! Aber ich möchte jetzt schon die Zeit anhalten...:-) Verrückt, nicht?

    Das Foto ist auch wunderschön...
    Liebe Grüße,
    Julia

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    1. Liebe Julia, oh, wie schön, herzlichen Glückwunsch, ich hoffe, Du hast Dich schon ein wenig erholt! Willkommen auf der Welt, kleiner David, wie schön, dass Du da bist! Liebste Grüße an Euch beide!

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  6. Wow, ich habe gerade geduscht und gedacht wie schön wäre es gleich einen neuen Okka-post lesen zu können. Aber ich dachte nee du hattest gestern erst einen, der muss wahrscheinlich noch etwas genügen und dann whäääm das ist er und ich freue mich und denke heute ist Wunscherfülltag, bei so einem schönen Post geht das nicht anders, dann wird der Rest des Tages bestimmt auch grandios.

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  7. Deine Briefe an Fanny machen mich so sehnsüchtig nach einem Kind...
    Schön, dass du wieder da bist!

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  8. Solch tolle Worte, die lassen einen die durchgemachte Nacht leichter vergessen...Falls meine Kleine mal schläft, schläft sie auch so...Po ganz weit nach oben:)
    Und dieser Laufstil, einfach herrlich...unsere läuft immer wie eine alte Oma:)
    Man sollte wirklich jeden Tag genießen, auch die anstrengenden...Danke für die Worte

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  9. Liebe Okka,

    jetzt hab ich doch grad ein Tränchen verdrückt beim Lesen deines Textes... einfach wunderbar! Fanny wird sicher einmal stolz sein, wenn sie das liest. Auch wenn sie dann vielleicht keine Mokassins mehr trägt;-)

    liebe Grüße,
    Conita

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  10. Danke für Tränen in den Augen und Kloß im Hals am frühen Morgen...:-) Geht mir genau so, furchtbar, das...

    Wünsch Dir einen gesunden Tag, Silvie

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  11. Liebe Okka, schön, dass Du wieder da bist und dass es Euch besser geht. Eigentlich sollte ich jetzt arbeiten, aber Dein Brief hat mich gerade ziemlich umgehauen. Du findest immer so wunderschöne und passende Worte und erinnern mich daran, was wirklich wichtig ist. Viele Grüße, Viola

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  12. Alles was du schreibst - und zwar haargenau so - habe ich mit dem Kind erlebt. Diese sehr frühe unbedingte Selbständigkeit, dieses Abgrenzen von Mami mit Macht... Das ist wunderschön und tut (ganz heimlich) so weh.
    Wenn es bei euch so weiter läuft, wie es bei uns war, dann freue dich auf ein wunderschönes Leben mit ihr. Du wirst im Kindergarten viel Spaß haben, dich mit Lehrern streiten, die die Selbständigkeit und das eigenständige Denken deines Kindes suspekt finden und einschränken wollen und du wirst ein Mädchen begleiten, das immer vorweg geht, ohne Angst (die hast du dafür). Und die ganz viel bewegt und dich selbst mitreißt.
    Ich habe so viele Dinge getan und erlebt in meinem Leben, die mir verschlossen geblieben wären, wenn das Kind nicht die Tür aufgestoßen hätte. Freue dich an ihr und mit ihr - und sei ein bisschen wehmütig, abends, allein mit dir oder ihrem Papa, aber zeig ihr das nicht.

    Grüße! N.

    PS: Mit dem Sohn war das alles anders, ein ganz anderer Charakter. Und trotzdem (oder gerade deshalb) verstehen sich die beiden Geschwister wunderbar.

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    1. Ach, Nelja, das hast Du mal wieder so schön geschrieben. Liebe Grüße!

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  13. Hihihi...
    wie sie da entlang watschelt...so stolz, so ambitioniert, so süß mit dem pampers-hintern.
    Schöner Text und schön, dass du zurück bist.

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  14. dein text geht unter die haut, danke. ich werde ihn immer wieder lesen wenn die nerven blank liegen, wenn alles verzweifelt scheint. denn eigentlich ist es (meist nur) viel läm um nichts. es zählt nicht.

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  15. schön, dass du wieder fit bist, okka! was für schöne worte an fanny. da glänzen meine augen schon wieder!
    den trailer, den du gestern gepostet hast, muss ich mir gleich mal ansehen. toni collette mag ich auch sehr.
    hab einen schönen tag
    sonnigen gruss,
    nike

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  16. Wunderschön, Okka. Bei dem Text kommen mir die Tränen. Und ein bisschen Angst, dass es mir irgendwann mal genauso gehen könnte...

    Julie

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  17. Alles rührend hier bei dir - du weißt, wie ich deine Texte konsumiere und genieße. Und dann noch meine Feststellung, dass Fanny auf Kopfsteinpflaster zielstrebiger Fußgängerin ist, als ich es mit meinen Absätzen je sein könnte... Herzlich an euch 3! Anja (bin nach Pfingsten ein paar Tage in der großen Stadt...)

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    1. Hahaha, ja, SEHR zielstrebig! Meld Dich, vielleicht schaffen wir ja einen Kaffee!

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  18. Liebe Okka,
    Du hast mir - wieder einmal - soooo sehr aus dem Herzen geschrieben. Genau so GANZ GENAU SO empfinde ich tagtäglich wenn ich meine vier Kinder ansehen. Und irgendwie rennt sie immer schneller, die Zeit. Und ich weiss dass das der Lauf der Dinge ist und das ist auch schön und gut so. ABER ich würde so gerne den einen besonderen Moment hier, dieses eine erste Mal dort, diese kleine herzerwärmende Alltäglichkeit dort festhalten, die Zeit anhalten, langsamer schalten, inne halten und geniessen. Und schwups schon dreht sich das Rad der Zeit weiter, immer schneller. Und immer grösser werden sie, meine Babies, die schon lange keine mehr sind.
    Seufz!
    Ganz liebe Grüße von
    Frau Süd

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  19. Liebe Okka,

    was für ein schöner Text!
    Heute morgen hab ich mich so über meine fast 4-jährige geärgert, weil sie seit neustem jeden Morgen einen derbsten Wutanfall kriegt, wegen Kleinigkeiten, und ich möchte den Tag nicht so beginnen, dann schaukelt es sich hoch, ich flippe aus, sie schreit und heult, der Papa muss schlichten und versuchen einen kühlen Kopf zu bewahren zwischen den beiden Furien. Und dann Dein Text - wusch, umgehauen hat er mich, ich musste kurz ein bisschen heulen und mich dann ganz schnell wieder vertragen. Tausend Dank dafür!

    Und ich kann es so gut nachvollziehen: das blöde Mutterherz, nie nie hätte ich gedacht, was es mit einem machen kann. Meine kleine Große geht so gerne in den Kindergarten, immer schon, auch in der Kita gab es keine Probleme, aber es ist mir so verdammt schwer gefallen sie dortzulassen.

    Schön, dass Du wieder da bist und alle wieder gesund sind!

    Viele liebe Grüße
    Julia

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  20. Ein wunderschöner Brief an Deine Tochter. So ähnlich wars mir heute auch zumute und ich musste lächeln als ich gerade Deinen Brief gesehen habe, nachdem ich heute ein Posting für meinen Sohn geschrieben habe. Das er ziemlich sicher jetzt nicht lesen wird, aber vielleicht irgendwann.

    Alles Liebe
    Mimi

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  21. Danke für diese schönen Worte. Du sprichst mir aus der Seele. Ich konnte mir die Tränchen nicht verdrücken, wir haben letzte Woche genau so ein Video gemacht!

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  22. Pippie inne Augen und zwar volle Pulle!

    <3

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  23. ...liebe okka! du sprichst mir aus der seele...meine mini-me ist jetzt 2,5 jahre und exakt das gleiche habe ich auch gedacht...die zeit ist gerade die schönste...auch mit die anstrengendste, aber die schönste...der eigene starke wille ist anstrengend, macht mich aber so stolz...der versuch der absoluten eigenständigkeit...herrlich...und dann die momente, wo die zwerge dann doch unsere absolute nähe brauchen und nicht von uns weichen...kuscheln,quatschen und geniessen ;o)

    ich danke dir für diese schönen zeilen!

    lieben gruss!

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  24. liebe okka,

    ich lese schon so lange bei dir, weil du immer so berührend schön schreibst. besonders liebe ich deine briefe an fanny. jedesmal laufen mir die tränen durchs gesicht. so schön, so wahr, so liebevoll. neben mir sitzt mein kleinster, der auch nach ostern in die kita kommt. wenn du einen ort gefunden hast, an dem man die zeit anhalten kann, verate ihn mir bitte. ich komme sofort auch dort hin.

    alles liebe für dich und deine lieben!
    kati

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  25. Liebe Okka,

    Dein Text war mal wieder herzerweichend!!

    Mein Großer kommt dieses Jahr in die Schule und ich will am liebsten die Zeit anhalten. Ist er wirklich schon so groß? Beginnt für ihn jetzt wirklich schon "der Ernst des Lebens"? Jetzt gibts kein Zurück mehr.

    Ich gehe mit gemischten Gefühlen an den Schulbeginn.

    Ich habe ja noch meine 3-jährige Tochter die in den Kindergarten geht, aber ehe ich mich es wahrscheinlich versehe stehen wir schon im Geschäft und suchen den pinken Schulranzen für sie aus.

    Alles hat ja seine Zeit und seinen Sinn..... aber wer kümmert sich eigentlich um uns Mütter? ;-)


    Emma

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  26. liebe Okka, ich lese jetzt schon lange deinen Blog und jedes Mal wenn du über deine süße Tochter schreibst, freue ich mich darauf mal selber Kinder zu haben. Danke dafür :-)

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  27. Ich seufze eine Runde mit. Ja, so ist das.
    Ich lese gerne bei Dir mit, unsere Töchter sind ungefähr gleich alt und ich finde es einerseits so faszinierend, wie ähnlich sich Kinder sind und wie sehr sie andererseits schon ihren eigenen Charakter haben.
    Lieben Gruß

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  28. Wie wunderbar Du schreibst!!!
    Jede Zeile kann ich so unterschreiben und mache es nun schon zum 2. Mal mit dieser leise kleine Abschied!
    Aber irgendwie ist es auch jeden Tag ein Wiedersehen mit einem Menschlein, dass einem so vertraut ist und so wertvoll! Jeden Tag darf man sich erneut kennenlernen, lieben lernen!
    Ich finde es bezaubernd!
    Ich sag mir immer wieder, dass ich es alles viel mehr genießen muss und innehalten muss!
    Liebe Grüße
    Martina.

    PS: mit dem Popo in die höhe schlafen ist das Beste ;-))

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  29. oh ... meine hannah ist noch nicht ganz ein halbes jahr und ich weiß ganz genau wovon du schreibst ... herrlich. schrecklich...

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  30. und die augen werden ganz wässrig aber das herz geht auf! du schreibst so wunderschön!
    ich hab keine kinder aber irgendwie freu ich mich drauf, mal irgendwann welche zu haben. ach blieben sie doch für immer klein, niedlich und unkompliziert ;)

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  31. <3 so berührend geschrieben, ich habe eine gänsehaut bekommen!
    die kleinen großen, meine 3 mädels sind zwischen 13+18 und die älteste geht im september in eine ander stadt zur ausbildung- schnieff- mama sein ist wundervoll, doch manchmal auch ziemlich brutal! ganz liebe grüße von nana

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  32. Oh wie süss und schön ist das denn?????????????? Hast Du toll geschrieben und es ist wirklich so wahr, man muss immer wieder lernen, Abschied zu nehmen, wenn auch im Kleinen und loszulassen, was einerseits toll ist, andererseits wird einem selber bewusst, wie schnell die Zeit rast und vergeht und dass man selber nicht mehr die Jüngste ist (hört sich jetzt blöd an, irgendwie sind wir ja schon noch jung aber halt nicht mehr so richtig ;)).
    Bin gespannt auf die weiteren Schritte in Deinem und Fannys Leben und die nächsten kleinen Schritte....
    limone

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  33. Mist, jetzt habe ich Tränen in den Augen... Und ich kann Dich sooo gut verstehen: Joseph ist 10 Monate. Ab September wird es eine schöne Kita geben "und es gibt hundert gute Gründe"... Snif.

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  34. Habe diesen Text jetzt - Monate später - genauso gerne gelesen wie beim ersten Mal und es kullern wieder die Tränchen!

    Okka...Du bist toll :)

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  35. Das ist ja Zucker! Und so wahr... Bin ich froh, dass Wulfhild noch nicht krabbelt.
    Besten Gruß von Mutterherz zu Mutterherz,
    Cati

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